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Das älteste Haus in Potsdam

In der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts bestand Potsdam fast nur aus vier Straßen, in deren Mitte auf einer kleinen Erhebung des Bodens die mit einem Begräbnißplatz umgebene Kirche und unweit davon ein kleines Rathhaus standen. Die Stadt hatte zwei Thore; das eine, das Brandenburger, führte durch den Wall in der Gegend des neuen Marktes; das andere, in der Gegend der grünen Brücke, hieß das Berliner, und war nur zum Theil durch eine Mauer, größtentheils aber durch einen Graben und ein festes Pfahlwerk mit dem ersteren verbunden. Nur längs der jetzigen Schusterstraße hatte Kurfürst Joachim I, eine Umschließung der Stadt mit Wall, Mauer und Graben begonnen, an welcher aber seit 1528 nicht weiter gebaut war.

Von dem Berliner Thor längs der Havel hin bis über die jetzige Burg- und Heiligegeiststraße lag eine doppelte Reihe von Fischerhäusern; der Platz an der Havel aber, auf welchem jetzt die Heiligegeist-Kirche steht, war durch einen breiten Graben zur Insel gemacht, auf der Landseite geschützt durch Wall und Mauer, auf der anderen durch den breiten Fluß. Hier stand die Burg – „das alte Haus„ - Potsdam, ein viereckiges steinernes Gebäude mit spitzen Giebeln und einem runden Thurm an jeder Ecke. Da, wo jetzt das Schloß sich erhebt, war durch Joachim ein kleines Lustschloß errichtet, unweit der hölzernen Brücke, welche Friedrich I. statt der Fähre 1416 über die Havel hatte erbauen lassen. Unterhalb der Stadt dem Tornow gegenüber, und von ihr durch einen dichten Eichenwald getrennt, der sich weithin nach Fahrland und Nedlitz erstreckte, lag der Kiez, ein Fischerdorf, dessen wendische Bewohner unter einem eigenen Schulzen lebten. Die weite Havelbucht aber, welche jetzt unweit des Neustädter Thores sich ins Land erstreckt, war noch nicht vorhanden, und eine grüne Wiese nahm ihre Stelle ein, über die sich der Weg nach Brandenburg zog.

In dieser Zeit lebte auf dem Kiez ein braungelocktes, dunkeläugiges Mädchen, das war des Schulzen Mündel, sechszehn Jahr alt, keck und sinnig; die hatte, wie die Leute sagten, von Klein auf immer ihren eigenen Kopf gehabt und war anders gewesen, als anderer Leute Kinder. Da ist dem alten Schulzen, der schon dreimal Wittwer geworden war, eingefallen, die schöne Anne zu heirathen; die hat sich nicht lange bedacht und hat ja gesagt, und am Osterfeste 1536 ist die Trauung gewesen. Nachdem aber die Hochzeit drei Tage mit Schmausen und Tanz gewährt, hat die junge Frau im Hause ihres Vormundes gelebt, wie früher als Mädchen, ist freundlich zu ihrem Manne, wie gegen alle Menschen gewesen, und hat nach wie vor die Fische nach der Stadt gebracht, und für den Erlös auf dem Markt eingekauft; auch nie versäumt zu lachen, zu scherzen oder zu tanzen, wo es sich nur irgend wollte.

Einmal im nächsten Sommer, als sie wieder Fische in die Schloßküche tragen wollte, da sich der Kurfürst Joachim II. der Jagd wegen in Potsdam mit zahlreichem Gefolge aufhielt, ist sie unweit des Kiezes unter einer schönen Eiche im Walde mit einem stattlichen Manne zusammen getroffen, der hat sie angeredet, und sie hat ihm freundlich geantwortet, und er hat sie begleitet bis ans Thor. Unterweges haben die Beiden mancherlei mit einander gesprochen, darüber hat die junge Frau noch auf dem Rückwege viel nachzudenken gehabt. Gewundert aber hat sie sich, daß der freundliche Mann ihr den schweren Korb nicht hat tragen helfen.

Später hat sie den Mann öfter unter der Eiche getroffen, wenn sie zur Stadt ging, und bald ist sie verdrießlich geworden, wenn er ihrer dort nicht wartete. Er hatte ihr erzählt, daß er ein Beutner sei, der viele Bienenstocke in den hohlen Eichen besäße, die er wieder verpachtete an Andere, welche die Beuten beaufsichtigten, die schwärmenden Stöcke einfingen, und im Herbst die Baue ausschwefelten, um den Honig zu gewinnen; eine Beschäftigung, welche in jener Zeit von gar vielen getrieben wurde, denn die großen Heidestrecken und die Buchweizenfelder gaben den Bienen reiche Nahrung, und der Honig war ein beliebtes Gewürz und Wachs sehr gebraucht in den Kirchen.

Der Honigsucher mochte dreißig und einige Jahre alt sein, war ein hoher, schöner Mann, wohlgekleidet und hat auf Alles was Anna ihn gefragt eine kluge, verständige Antwort gegeben. Anna aber hat ihn gar viel gefragt, und er ward nicht müde, ihr zu antworten, und sie ist bald klüger geworden als alle ihre Gespielen, selbst als ihr Mann, der Schulze vom Kiez, der ganz stolz gewesen ist auf seine kluge und verständige Frau. So ist es den ganzen Sommer hindurch gegangen, und Anna hat immer klügere Fragen gethan. Der Beutner hat aber auf Alles gute Antwort gehabt; er erklärte ihr den Streit der Katholiken und Protestanten, der damals durch ganz Deutschland die Menschen bewegte; sprach mit ihr von Sternen und Blumen, von alten, wunderbaren Geschichten und glänzenden Abenteuern, am schönsten aber sprach er vom Leben der Menschen in ihren mancherlei Verhältnissen, von dem, was edel und schön, und von den Gefühlen seines Herzens. Und das hörte Anna auch am liebsten, und wußte darüber bald mitzusprechen, so daß nun er gern zuhörte.

Gegen den Herbst aber blieb plötzlich Anna’s Freund weg, und sie erwartete ihn vergeblich unter der Eiche, wo sie ihn zuerst gesehen. Da wurde sie sehr traurig und nachdenklich, und das Leben ward ihr gar langweilig, fast nicht zu ertragen, um so mehr, da sie Niemandem ihr Leid klagen konnte. Die gute Anna war recht unglücklich.

Eines Morgens, da sie wieder zur Stadt ging, sah sie mehr als hundert Arbeiter unter der Eiche. Ein Theil von ihnen war damit beschäftigt, die Erde um dieselbe wie für eine Grundmauer auszuwerfen, während Andere Steine und Baumaterialien herbeischafften. Auf ihre Frage erfuhr sie, der Kurfürst Joachim, wegen seiner Klugheit Nestor genannt, lasse ein Jagdschloß hier bauen, ein großes, viereckiges Haus, und auf dem Hofe des selben solle die hohe Eiche stehen bleiben. Da wunderte sich Anna sehr, daß der Kurfürst gerade diesen Platz zum Bau gewählt habe, und ging sinnend langsam weiter.

Im nächsten Jahre ließ sich der Bienenjäger nur selten und auf kurze Zeit blicken, immer aber sprach er so, als wenn sie sich erst gestern gesehen hätten, und schien es gar nicht zu bemerken, daß viele Wochen vergingen, bis er wieder mit Anna zusammen kam. Was er aber sagte, das war für sie so lieb und innig und gab ihr so viel zu denken, daß sie fast nicht fertig damit werden konnte, obgleich sie Tag und Nacht nicht davon abließ. Unterdeß wurde daß Schloß vollendet, und der Kurfürst ließ es reich und wohnlich einrichten.

Der Herbst ist aber für das Fischerdorf sehr unglücklich gewesen. Ein mächtiger Wolkenbruch schwellte die Havel hoch an, und ein gewaltiger Sturm staute den Strom bei Caput so, daß er weit über seine Ufer trat und sich neue Bahn brach, wobei besonders der Kiez und seine Umgebung litt, auch viele Schiffe fortgetrieben und zerschellt wurden. In derselben Nacht brach auch ein Feuer im Dorfe aus, das der Wind schnell bis zu des Schulzen Hause trieb. Am anderen Tage war viel Jammer und Noth auf dem Kiez: Der größte Theil der Bewohner war ohne Obdach, manche in den Wellen verunglückt, andere wurden vermißt. Der alte Schulze starb an den Folgen des Schrecks und der Anstrengung; seine Frau wurde vergeblich gesucht.

Kurze Zeit darauf bezog der Kurfürst mit wenigem Gefolge das neue Jagdschloß am Kiez, und lebte darin still und zurückgezogen. Da hat man ihn oft mit einer hohen, braungelockten und dunkeläugigen Frau im angelegentlichen Gespräch gesehen, bald allein, bald mit hochgelehrten Priestern und anderen weisen Männern aus den protestantischen Ländern, - die soll, wie die Fischer vom Kiez meinten, viel Ähnlichkeit mit Schulzens Anna gehabt haben.

Im Jahre 1539 trat darauf Kurfürst Joachim II. öffentlich zur evangelischen Religion über; kurz vorher hielt er sich lange in dem Schlosse am Kiez auf, das er auch noch späterhin oft zu besuchen pflegte, um Zwiesprache zu halten mit der unbekannten Frau, – oder auch vielleicht nur um der Jagd wegen; denn von der Dame wollte überhaupt keiner seiner Hofleute etwas wissen, und wenn die Bewohner des alten Schlosses späterhin und noch jetzt zuweilen in den dunkelen Gängen zu nächtlicher Weile eine hohe Gestalt haben dahin schweben gesehen, geräuschlos durch die verschlossenen Thüren, hat sie gewiß die Furcht getäuscht.

Zwanzig Jahre darauf brannte Potsdam sammt seiner Kirche und dem Rathhause ab, und nur das Jagdschloß im Eichenwalde beim Kiez blieb von den Gebäuden der damaligen Zeit übrig, wurde aber später vom Kurfürsten Friedrich Wilhelm nach dem Wunsche seiner frommen Gemahlinn, zu einem Wittwenhause eingerichtet. Erst vor drei Jahren wurden die alten Wände eingerissen, doch steht das neu aufgebaute Predigerwittwen – Haus in der breiten Straße ganz auf den Grundmauern, welche Joachim II. um die hohe Eiche hatte aufführen lassen, unter welcher Anna zuerst den Honigsucher sah.

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung