<<< zurück | Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit | weiter >>>

Sage des Monats Januar 2022

Kohlhaasenbrück

Unter den Räubern und Landesbeschädigern, welche im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts die Kurmark unsicher machten, wird in den alten Chroniken oft ein geborner Berliner, Kohlhaas, erwähnt, der früher ein rechtlicher und geachteter Roßkamm war; aus Rache aber und falschem Rechtsgefühl, weil er nicht Genugthuung wegen eines ihm von einem sächsischen Edelmanne zugefügten Schimpfs erhalten konnte, das Haupt einer gefürchteten Bande wurde. Zuerst sagte er dem Kurfürsten von Sachsen durch einen Fehdebrief förmlich ab, nahm einen Seidenkrämer aus Wittenberg, Georg Reiche, gefangen und hielt ihn in seinem Hause an der krummen Spree auf dem Köpenickschen Werder in Haft.

Später verbrannte er sogar die Vorstädte von Wittenberg und machte sich so furchtbar, daß der Kurfürst von Sachsen zu Jüterbogk einen Tag ansetzte und seine Räthe dahin absandte, um sich mit Kohlhaas zu vertragen, der dort mit vierzig Bewaffneten erschien und den Vertrag schloß. Als jedoch die Sachsen nach Kohlhaas Ansicht dieses Übereinkommen nicht hielten, so entsagte er dem Kurfürsten aufs neue und that, obgleich selbst Doctor Luther, den Kohlhaas sehr verehrte, ihm abmahnend schrieb, sehr viel Schaden, plünderte viele Dörfer an der Grenze und verbrannte das Städtchen Zahna im Kurkreise. Der Kurfürst Joachim von Brandenburg und der Erzbischof von Magdeburg gaben ihm hierbei Schutz und sicheres Geleit; als aber der Kurfürst von Sachsen es endlich dahin brachte, daß dieses aufgehoben wurde, begann er auch in den Ländern jener Fürsten seine Raubzüge.

Er hatte seine Schlupfwinkel besonders in der Zinnaischen Haide, von wo er in die Mark, die Lausitz, in Sachsen und ins Magdeburgische einbrach, und da er gemeiniglich nur solche Reiche und Vornehme überfiel, gegen welche die Meinung des Volkes eingenommen war, so fand er unter diesem überall Theilnahme und Unterstützung, um so mehr, da alle seine Unternehmungen einen besondern Charakter hatten, er auch für klug, kühn und wohlgesinnt gegen die Armen und Unterdrückten bekannt war.

In dieser Zeit kam mit Erlaubniß des Kurfürsten Albrecht, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, der bekannte Ablaßkrämer Tetzel in die Mark, der sich in seinen Placaten Johann Tetzel, Prediger Ordens des Convents zu Leipzig, der Gottesgelahrtheit Baccalaureus, ketzerischer Bosheit Untersucher und Untercommissarius, durch die Lande des Markgrafen zu Brandenburg nannte. Dieser war ein Mann von geringer Gelehrsamkeit, fertiger Zunge, unverschämter Stirn und sehr ärgerlichem Lebenswandel. Zwar fing durch die Wissenschaften an, sich eine vernünftige Aufklärung zu verbreiten, aber das niedere Volk trug noch mit abergläubiger Geduld das Joch der päpstlichen Herrschsucht und des römischen Geizes.

Tetzel hielt sich besonders zu Berlin und Jüterbogk auf, und reiste von da mit einem stattlichen Aufzuge durch das Land, um seinen Ablaßhandel zu treiben. Mit ihm auf dem sonderbar verzierten Wagen befanden sich zwei große Kasten mit der Aufschrift: „Sobald das Geld im Kasten klingt, sobald die Seeľ gen Himmel springt.“ Er hatte großen Zulauf und verkaufte vielen Ablaß sowohl für begangene, als auch für zukünftige Sünden, und der Einfluß seiner Rede auf das Volk war so große, daß er sich rühmte, es hinge nur von ihm ab, ob er die Menschen zum Heufressen gewöhnen wolle.

Einmal, als Tetzel mit seinem schweren Wagen von Jüterbogk über Trebbin nach Berlin fahren wollte, sprach ihn unterweges ein stattlicher Mann an und bat ihn um einen Ablaßbrief für eine Sünde, die er im Begriff stehe zu begehen. Dieser Fall war dem Sündencommissarius neu und schien ihn stupig zu machen, da ihm jedoch der Ritter eine Hand voll Gold bot, erhielt er den gewünschten Ablaß. Tetzel fuhr nach Mittag von Trebbin über Saarmund weiter, als er aber langsam in der großen Haide unweit des Sterns hinzog, wurde er von einer wohlbewaffneten Schaar, an deren Spitze sich der Reiter befand, dem er am Morgen den Ablaß verhandelt hatte, überfallen und völlig ausgeraubt. Tetzel versuchte zwar durch die ganze Macht seiner Rede die Räuber von der Sündhaftigkeit ihrer Handlung zu überzeugen und verdammte sie, als dies fruchtlos blieb, auf ewig zur Hölle; Kohlhaas aber zog den Ablaßbrief hervor, der ihm diese Sünde im Voraus vergeben hatte, und ritt mit seiner Schaar lachend davon.

Ähnliche Abenteuer werden Kohlhaas manche nacherzählt; doch spricht ihr verschiedener Charakter für die Annahme, daß es zwei Anführer von Raubschaaren mit diesem Namen in der Kurmark gegeben habe; woher es auch vielleicht kommt, daß in einigen Chroniken die Zeit des Kurfürsten Joachim I. und in andern die Joachim II. als diejenige angegeben wird, in welcher er sein Wesen trieb. Durch herrenlos gewordene Kriegsleute vergrößerte sich Kohlhaas Bande immer mehr, und seine Keckheit vermehrte sich in gleichem Maße, so daß er selbst das Eigenthum des Kurfürsten nicht verschonte.

Es war gegen Mittag im Juli, als die Rüst- und Küchenwagen des Kurfürsten auf dem alten Königswege, ohnweit der jetzigen Eisenbahn, von Potsdam nach Berlin dahinzogen, bei denen sich auch der brandenburgische Factor Konrad Draziger mit einer Ladung Silberkuchen befand, welche er im Mansfeldischen und Stolbergischen für den Kurfürsten gekauft hatte. Die Sonne brannte heiß, und die schon,ermüdeten Pferde zogen langsam die ungelenken Wagen durch den tiefen Sand, der hinter den Rädern wie flüssiger Schlamm wieder zusammenlief. Der Staub stieg in langen Wolken in die Höhe und verbarg fast den schweigenden Zug, dessen Führer, nachlässig auf dem Pferde sitzend, ein Lied vor sich hin summte, um die lange Weile zu kürzen. Eben hatten die Wagen jene dicht bewaldete Höhe unweit der Becke erreicht, und Draziger brummte die Worte:

Staub, Sand und Heide
Sind des Märkers Freude;
Staub, Heide Sand
Sind sein Vaterland;
Doch die Heide, Sand und Staub
Sind…

Da trat, nach einem hellen Pfiff, aus dem Kieferngebüsch am Wege plötzlich an jedes Rad der Wagen ein Mann heran und durchschlug mit einer Axt die Speichen desselben, und in einem Augenblick sanken alle Wagen in den Sand, so dass die Pferde sie nicht von der Stelle rücken konnten. So wie dies geschehen, trat auch Kohlhaas an den Führer, lies sich von ihm die Kasten öffnen, und soviel an Silber und Sachen von Werth herausgeben, bis es die Höhe einer von ihm genannten Summe erreichte. Hieraus gab er dem Führer eine Quittung über das Entnommene und sagte, es sei gerade soviel als er unlängst bei einem Überfall durch die Reiter des Kurfürsten eingebüst habe. Er wünsche, daß ähnliche Ereignisse ihn nicht wieder nöthigen möchten, sein Recht auf so ungestüme Weise zu suchen, was ihn ganz gegen Wunsch und Neigung sei, und er hoffe, sein sonst so gnädiger Landesherr würde ihm wieder, wie früher, seinen Schutz gewähren, weil so nur beide Theile darunter leiden würden. - Schnell dann, wie er gekommen, verschwand er mit seinen Leuten, die sich nach verschiedenen Seiten zerstreuten.

Kohlhaas verbarg noch an demselben Abend seinen Raub, indem er ihn in die Becke versenkte, unweit der Brücke, welche noch jetzt Kohlhaasenbrück genannt wird. Wahrscheinlich that er dies in der Absicht, die geraubten Gegenstände dem Kurfürsten in irgend einer auffallenden Weise wieder zuzustellen. Dieser aber war sehr erzürnt über Kohlhaas Frechheit, und befahl Meister Hansen, dem Scharfrichter, der für einen „ausbündigen Schwarzkünstler“ bekannt war, Kohlhaas mit seiner Rotte nach Berlin zu zaubern. Dieser ließ sich auch wirklich bald darauf in Berlin betreten und ward bei dem Küster der Nicolaikirche gefangen genommen.

Der Kurfürst, welcher Kohlhaas – da er in den brandenburgischen Landen keines Mordes überführt werden konnte, und mancher anderer Umstände wegen - ohne diese Beraubung der herrschaftlichen Wagen, vielleicht begnadigt hätte, übergab ihn dem Gerichte. Am Montage nach Palmarum 1540 ward ein Gerichtstag angesetzt, wo ihn der Kurfürst von Sachsen durch einen Anwald anklagte und Kohlhaas sich drei Stunden lang mit großer Beredsamkeit, vertheidigte, so daß er allgemeine Theilnahme erweckte. Er wurde zum Rade verdammt. Der Körper blutete mehrere Tage, welches damals für ein Zeichen der Unschuld galt; auch soll dem Kurfürsten später seine Strenge sehr gereuet haben. Der Ort aber, wo Kohlhaas die Schätze in die Telte-Becke versenkte, ist von ihm nicht angegeben, und noch bis jetzt sollen sie nicht aufgefunden sein.

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung