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Die Quelle in Templin

In dem Dorfe Kaput lebte einmal ein kleines, hübsches, braungelocktes Mädchen, das hieß Else. Einst im Sommer war sie mit ihrer Mutter zum Wochenmarkte nach der Stadt gegangen; weil sie aber nach Allem schaute und nach Allem fragte, auch die Mutter immer nach ihr sehen und suchen mußte, so hieß ihr diese voran gehen und draußen vor dem Teltower Thore zu warten, bis die Mutter ihre Geschäfte besorgt haben und nach kommen würde. Else'n war das gar nicht recht; sie hätte sich gern noch die bunten Bilder und Spielsachen in den Buden länger angesehen, doch ging sie und machte nur ein Schmollmäulchen.

Als sie aber hinaus auf die Wiese kam, da war der Markt mit seinen glänzenden Sachen bald vergessen; überall gab es Blumen zu pflücken, und Else flocht gar gern Kränze, und verstand sich wohl darauf, die Blumen und Gräser zu wählen und zu ordnen. So, bald sich bückend und sammelnd, bald sich in den Schatten setzend und windend, bald mit dem fertigen Kranze singend dahin hüpfend, bis sie ihn an den Zweigen da aufhing, wo sie neue Blumen sah, war sie, ohne daran zu denken, schon weit auf dem Wege nach Hause gekommen, als die Zeit anfing, ihr lang zu werden, und sie mit Ungeduld das Nachkommen der Mutter erwartete.

In der Heide war es glühend heiß. Kein Lüftchen regte die Spitzen der hohen Kiefern. Die Sonne stand hoch im Mittage, und ihre Strahlen trafen den mit Nadeln bedeckten Boden, von welchem ein harziger, beängstigender Duft sich unter den schattenlosen Zweigen verbreitete. Es war so stil, daß man das Arbeiten des Borkenkäfers und das Nagen der Kieferraupe hören konnte. Else war sehr durstig und sehr ungeduldig, und je ungeduldiger sie wurde, je mehr wünschte sie zu trinken. Da fiel ihr die klare, kühle Quelle ein, welche unter den dichten, schattigen Bäumen an der Templiner Wiese rieselt. Eilig sprang sie auf, lief den schmalen Pfad entlang, daß ihr die dicken Schweißtropfen über die rothen Backen rannen, dann den Berg hinunter bis zum Quell.

Hier kniete eine alte Frau auf den Steinen und schöpfte mit einem kleinen Maß das Wasser in ein größeres Gefäß, wobei ihr das Bücken in die Tiefe sehr schwer zu fallen schien. Else'n klebte die Zunge am Gaumen, doch nahm sie erst das kleine Mädchen und füllte den Krug der alten, grauen Frau, dann trank sie in langen Zügen. Die Alte aber nahm aus der Quelle drei grüne Wasserlinsen und gab sie Else'n, indem sie ihr freundlich zulächelte und sie ermahnte, die grünen Linsen wohl zu verwahren, bis sie einst größer würde; - denn wenn sie eine derselben ins Wasser würfe und dabei einen Wunsch spräche, so würde derselbe erfüllt werden.

Else war noch nicht hundert Schritt weiter gegangen, so hatte sie die Wasserlinsen und die graue Alte fast vergessen, war aber durstiger als vorher. Sie kehrte deshalb wieder um zum Quel, wo sie die Alte nicht mehr fand, und mit ihrer kleinen, weißen Hand das Wasser zum Trinken schöpfte. So brachte sie aber nicht viel zum Munde, und vergeblich sah sie sich nach einem Gefäße um. Da fiel ihr das kleine Maß der Alten und deren sonderbares Geschenk ein. Schnell warf sie eine der grünen Linsen in die Quelle, und wünschte sich das Maß, welches sogleich auf dem Wasser schwamm. Als sie getrunken hatte, sah sie, daß ihr schöner Kranz von Wiesenblumen ganz verwelkt war. Da warf sie die andere Linse ins Wasser, und wünschte, er möge wieder frisch fein. Dabei fiel ihr aber der Kranz aus der Hand in die Quelle, und als sie ihn hervorhob, da waren alle Blüthen wieder frisch. Else besann sich einen Augenblick, dann warf sie die dritte der grünen Linsen in 's Wasser und wünschte, ihre Mutter möge doch endlich kommen und nicht böse auf sie sein, daß sie nicht am Thore gewartet habe. Die Mutter aber kam schon den Berg herunter und freute sich, das Kind wieder zu sehen, um welches sie sich sehr geänstigt hatte.

Else war zwölf Jahr alt, und recht groß und hübsch geworden, als sie an einen schönen Abende aus der Stadt allein nach Hause kam und am Quell zu Templin die graue Alte wieder sitzen fand, an die sie nie wieder gedacht hatte. Das Mütterchen rief sie zu sich und sprach mancherlei mit ihr. Else mußte ihr von allem erzählen, was sie betraf, und als sie nichts mehr wußte, ermahnte die Alte sie, recht fromm und fleißig zu sein, und schenkte ihr drei Fischschuppen, die solle sie wohl verwahren, bis sie großer sei; - denn wenn sie eine derselben ins Wasser würfe und das bei einen Wunsch sprache, so würde derselbe erfüllt werden.

Else band die glänzenden Schuppen sorgfältig in den Zipfel ihres Tuches, ging sinnend weiter und überlegte, was sie sich wünschen wolle in der Zukunft. Als sie aus dem Walde kam vor Kaput, da wo die tiefe, lockere Sandschelle ist, sah sie den alten Job, der quälte sich, einen schweren Karren mit Gänsen durch den Sand zu schieben. Schnell sprang sie hinzu, und zog an dem Karren aus Leibeskräften. Job war aber zu schwach und der Sand zu tief; trotz aller Mühe kamen sie wenig weiter.

Else schritt rasch hinab an die Havel, nahm eine Schuppe aus dem Knoten, wünschte, der Karren möge leichter werden, und warf sie ins Wasser. Da hörte sie den Job gar ängstlich hinter sich schreien, der Karren war umgefallen, und die Gänse liefen, lustig mit den Flügeln schlagend, schnatternd nach allen Seiten davon. Darüber war sie sehr erschrocken, warf schnell die zweite Schuppe ins Wasser, und wünschte, der alte Job möge seine Gänse wieder bekommen. Diese liefen aber flatternd auf der Sandschelle umher, dann sammelten sie sich da, wo der Weg wieder gut und fest wurde, und als Job mit dem leeren Karren bis dahin gekommen war, ließen sie sich willig greifen und wieder fest machen. Else sah das kopfschüttelnd mit an, legte die dritte Schuppe bedächtig in den Zipfel ihres Tuches, und knüpfte sie mit doppeltem Knoten fest. Zu Hause aber legte sie dieselbe in eine kleine Kapsel, und trug diese beständig an einer Schnur um den Hals. Manche Stunde lang bei Tage und Nacht sann sie darüber nach, was sie sich dereinst Schönes und Prächtiges wünschen sollte.

Else wurde immer größer und schöner, und als sie achtzehn Jahr alt war, galt sie für das hübscheste Mädchen im Dorfe, das alle jungen Burschen gern sahen. Else aber sah nur den blonden Fischer, ihren Nachbar, gern, und wann sie an die Fischschuppe und ihre Wünsche dachte, fiel ihr auch zu jeder Zeit der schmucke Konrad ein. Saß dieser aber am Abende vor der Thür des reichen Schulzen mit seiner Tochter, der hübschen Rose, oder plauderte er mit ihr am Zaune, dann mochte sie gar nichts denken.

Eines Sonntags zur Kirchweihe waren alle jungen Leute zum Tanze im Kruge versammelt; vor allen Mädchen war Rose am schönsten geputzt. Als Else sie so erblickte, schlug ihr das Herz höher, und sie hätte, wer weiß wie viel, darum gegeben, würde Konrad, wenn er käme, nicht mit Schulzens Rose tanzen. Mit jedem Augenblicke wurde ihr dieser Gedanke bitterer, ihre Brust preßte sich zusammen, und als die Musik begann, konnte sie es nicht mehr ertragen; sie eilte hinaus, warf die Schuppe ins Wasser, und sprach den Wunsch ihres Herzens aus: Konrad solle heute nicht mit der schönen Rose tanzen, Konrad aber kam den Abend gar nicht zum Tanze in die Schenke. Vergeblich waren Elsens Augen fest auf die Thür gewendet, und erst spät hörte sie erzählen: Konrad sei mit einer Kahnladung Fische vor zwei Tagen nach Berlin gefahren und, gegen sein Versprechen, heute nicht zurück gekommen.

Da erfaßte namenlose Angst das arme Mädchen; sie glaubte den Geliebten verunglückt; todt durch ihre Schuld, todt durch die geheimnißvolle Erfüllung ihres eifersüchtigen Wunsches. Schlaflos durchweinte sie die Nacht, bei jedem Geräusch aufschreckend und hinaushorchend nach dem Nachbarhause. Kaum dämmerte der Morgen, so war sie schon am Strande, aber Konrad's Kahn lag nicht auf der bekannten stelle. Die Hände fest auf das pochende Herz gepreßt, ging Else, den Blick uns verwandt auf das Wasser gerichtet, am Ufer der Havel hinauf. Am Quell zu Templin aber fand sie die graue Alte sitzen. Mit der hat sie in ihrer Herzensangst gar mancherlei gesprochen, und auch die Alte hat ihr mancherlei gesagt. Davon aber hat die Else nie erzählt. Als sie jedoch mit heiterem Gesichte wieder zurück nach Hause ging, war wieder ein doppelt geschürzter Knoten in ihrem Tuche - und im Jahr darauf war sie Konrad's Frau,

Wenn die glückliche Fischerfrau späterhin aus Liebesnoth siechblasse Mädchen sah, dann rieth sie in Templin zu trinken, auch sich nicht zu scheuen vor der grauen Alten, die sie vielleicht dort treffen würden, und die gar heilsamen Rath wisse für mancherlei Schmerzen. Das haben denn Viele versucht, und bald sind die Wangen wieder roth und die Augen wieder hell und freundlich geworden. 

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung