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Die Glockentaufe

Zu der Zeit, als Kaiser Karl im Namen seines Sohnes Siegmund über Brandenburg herrschte, war es Sitte geworden, die Glocken der Kirchen zu taufen, und die Geistlichkeit benutzte diese Feste, sowohl um ihre geistliche Heerde zu erbauen und im Glauben zu stärken, als auch um reichliche Pathengeschenke zu erhalten.

Der Pfarrer der St. Katharinen-Kirche zu Potsdam, welche damals an der Stelle der jetzigen Nikolai-Kirche stand, hatte für den ersten Pfingsttag die Taufe seiner Glocke angesetzt, und weit umher Boten ausgesendet, um Ritter und Herren zu Taufpathen und Zeugen dieser feierlichen Handlung einzuladen. Zu den ersten gehörte der Landeshauptmann Reinhard zu Streelen, der Bischof von Brandenburg, der Probst Ortwin von Berlin, Ritter Busso von Putlitz, Johann von Quitzow, Lippold von Bredow und der Burgemeister Ricke von Potsdam. Zur Vigilie, wie damals der heilige Abend genannt wurde, langten die Geladenen schon an, und die Herberge des kleinen Ortes konnte kaum die Gäste aufnehmen, obgleich viele in der Burg und bei befreundeten Rathsmännern freundliches Unterkommen fanden.

In allen Straßen regte es sich geschäftig, überall schmückte man die Häuser innen und außen zum morgenden Doppelfeste aus. Die jungen Burschen zogen durch die Thore mit mächtigen Birkenzweigen ein, und auf der Havel bewegten sich leichte Kähne, in welchen die Mädchen ganze Ladungen von Kalmus der Stadt zuführten. In allen Häusern wurde geschlachtet und gebacken, auch die ärmste Hausfrau schaffte Rath zu einer mächtigen Pfingstpretzel oder Kringel.

Mit Sonnenuntergang wurde das Fest eingeläutet, dann fingen alle Kirchglocken in der Nähe an zu beiern, welches von der Schuljugend die ganze Nacht bis zum Sonnenaufgang geschah, wozu sich die Knaben eigene Tacte eingeübt hatten, indem sie mit dem Kloppel abwechselnd bald an die eine, bald an die andere Glocke schlugen.

Am nächsten Morgen glichen die Straßen duftenden Laubgängen, alle Thüren und Fenster, wie die hohen, spitzen Giebel waren mit jungen Maien geschmückt, und über den frisch gescheuerten Fußboden von der Hausflur bis in die abgelegene Mädchenkammer war weißer Sand und klein geschnittenes Kalsmusschilf gestreut, das mit seinem kräftigen Seruche das ganze Gebäude erfüllte.

Auch das Innere der Kirche war mit Birkenzweigen, Blumengewinden von Säule zu Säule geziert, auch die Gänge mit zerschnittenem Kalmus bestreut, und als es zur Messe läutete, ging Jung und Alt mit Sträußen von würzigen Kräutern nach dem Gotteshause, wo den Pathen und Zeugen die ersten Plätze eingeräumt waren. Durch die schmalen, bunten Fenster fielen die hellen Strahlen der Morgensonne in den grün geschmückten Raum, durch welchen die weißen Wölkchen des Weihrauchs sich kräuselnd zogen und sich mit dem Duft der Maien, Blüthensträußer und dem durchdringenden Geruch des Kalmus mischten. Alle Herzen waren zur Andacht gestimmt, und während der Priester die geheimnißvolle heilige Messe las, und die hellen Glöckchen der Chorknaben ertönten, dankten gar Viele der Jungfrau Maria oder ihrem Schutzheiligen, daß sie mit den Ihren wieder das schöne Pfingstfest erlebt hatten, und sich des Frühlingshimmels wieder freuen konnten, der so hell und blau durch alle Fenster herein schaute.

Nach Beendigung der Messe begann das Fest der Glockentaufe. Zuerst machte der Pfarrer von der Kanzel herab auf die Bedeutung desselben aufmerksam, lehrte, wie es ein Gott gar wohlgefälliges Thun sei, das Werkzeug zu taufen, welches die Gläubigen zu seinem Tempel ruft; dessen Geläut das Kind zur Taufe, das Brautpaar zum Altar und den Hingeschiedenen zu Grabe geleitet; wie so geweihte Glocken durch ihren Ton weit eher die Andacht erwecken, die Gewitter unschädlich machen, den Feuersbrünsten Einhalt thun, und den Teufel und alle Gespenster vertreiben konnten. Dann ordnete sich die Gemeinde und die Gäste zu einer Procession und zog mit Fahnen, Lichtern und Gefang dreimal um die Kirche.

Nach dem dritten Male machte der Pfarrer unter dem gewölbten Eingange halt, ließ das Crucifix und einen Weihkessel vor sich hinstellen und weihte das Salz zum heiligen Gebrauche ein, indem er die zu diesem Zweck von der Kirche verordneten Beschwörungen und Segnungen über dasselbe aussprach. Dann sprengte er das geweihte Salz, kreuzweis in das Weihwasser und betete: „Diese Vermischung des Salzes und des Wassers werde ein heilsames Sacrament im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, und schlug dreimal über dasselbe das Kreuz. Hierauf stieg der Pfarrer, dem ein Chorknabe das Weihwasser vortrug, auf den Thurm, und der Sacristan führte die Pathen zu dem Glockenstrange, an welchen sie sich ihrem Range nach anreihten.

In der Glockenstube des Thurms waren die Laden aus den Schallöchern genommen, und man sah den Pfarrer mit seinen Gehülfen beschäftigt, die Glocke „zu baden,„ das heißt, er wusch sie mit dem Salzwasser und trocknete sie sauber mit einem neuen leinenen Tuche ab. Dann tauchte er die Finger in eine Flasche mit geweihtem Oel und beschrieb mit demselben inwendig in der Glocke vier Kreuze, und mit Oel aus einer anderen Flasche auswendig um die Glocke herum sieben Kreuze, wobei er den Namen der Glocke aussprach. Nachdem dann die Chorknaben dieselbe mit Weihrauch, Thymian und anderen wohlriechenden Gewürzen beräuchert, stieg der Pfarrer wieder herab und beschloß vor dem Crucifix die Handlung mit einem Gebet. Hier war aber unterdeß statt des Weihbeckens ein anderes hingestellt worden, um die Pathengelder und die Opfer der Gemeinde für den Pfarrer aufzunehmen, der sich einer reichlichen Erndte zu erfreuen hatte.

Durch Reinhard von Streelen waren die fremden geistlichen und edlen Herren zu einem Festmahl auf dem Stadthause eingeladen, wo Burgemeister und Rathmänner sich bestrebten, nach Kräften als gute und gastfreie Wirthe zu erscheinen. Während aber ein Theil der Gemeinde den fremden stattlich geschmückten Herrschaften folgte, hatte sich ein anderer, der aus den älteren Bürgern und Dienstleuten bestand, in dem weiten Flursaale der Herberge versammelt, wo der kleine Glöckner mit dem von Altersfalten gefurchten Gesichte und dem kahlen, nur noch mit wenigen weißen Haaren bedecktem Schädel von Allen über die heute seiner Glocke wiederfahrene Ehre angesprochen und beglückwünscht wurde.

Der Glöckner aber schien nicht ganz zufrieden, und meinte, der Pfarrer habe in seiner Predigt heut das Wichtigste vergessen, woran er denselben gewiß erinnert haben würde, wenn er irgend geglaubt hätte, daß dies nöthig sein könnte. Als man nun von allen Seiten in ihn drang zu sagen, was er damit meine, erzählte er den horchenden Gästen: „Unsere St. Katharine hat nicht immer eine so schöne, wohlklingende Glocke gehabt, als die, welche wir heute getauft haben, und die Gemeinde unserer lieben Stadt war lange Zeit nicht wohlhabend genug, der Kirche eine Stimme zu geben, die weit hin über Berg und Thal schalle. Als aber von Magdeburg her ein Meister, der den Guß verstand, in die Stadt gekommen war, forderte der Pfarrer in eindringender Rede von der Kanzel herab seine Beichtkinder auf, was sie an Metal irgend entbehrliches hätten, herbei zu bringen und es ihrem Gotteshause zu einer Glocke zu verehren; verkündete auch reichlichen Ablaß, je nach der Größe der Gabe. Da ist denn ein schöner Haufen von allerlei Metal vor dem Altare niedergelegt worden, Leuchter, Kessel, Schüsseln und Becken; ja selbst silberne Gefäße und Schmuck schenkten die Reichen, und mancher Arme opferte die einzige Schaale. Der Rath aber bewilligte aus der Stadtkasse so viel Schock böhmische Groschen, als der Meister für den Guß der Glocke forderte. Dieser sonderte darauf das Metal und formte eine Glocke von Lehm genau im Verhältnisse zu der Masse desselben, baute einen Gußofen und senkte vor demselben die Form in die Erde.

Als aber das Metall in dem Ofen in Fluß kam, und die weiße, helle Gluth über dem kochenden Erz hin und her wogte, warfen immer noch Einzelne ihre Gabe in die Masse, wenn schon es der Meister nicht zugeben wollte. Da trat auch eine alte Frau zu dem Ofen, seit langer Zeit bekannt in der Gegend und wohl bewandert in manchem geheimen Wissen; die war von allen Leuten gern gesehen, obgleich sie keiner Familie angehörte, denn sie kannte gar viele heilsame Mittel und Besprechungen, so wie die Weise der Thiere und die wunderbaren Kräfte der Kräuter und Wurzeln. Die Alte aber zog unter ihrem grauen Gewande ein widerliches Knäul von Schlangen hervor, Ottern und Nattern von jeder Art ein Paar, die warf sie mitten in die Gluth, aus welcher sich alsbald ein dicker, stinkender Qualm erhob. Das verdroß den Meister so sehr, daß er die Alte niederschlagen wollte mit der Schürstange, aber das Volk nahm sich ihrer an.

Die Glocke ist demnach, wie ihr wißt, wohl gerathen, und hat einen vollen, hellen Klang; als sie aber zum ersten Male geläutet wurde, da haben sich alle Schlangen, deren es früher so viele und böse in unseren Brüchern gab, weg gezogen aus der Gegend, so weit als der Ton der Glocke zu vernehmen war, und nur selten ist eine gesehen worden, scheu dahin schlüpfend durch das Gras, und sich eilig verbergend unter Laub und Moos.“

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung