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Der faule See

Durch eine Bulle Pabst Innocenz VIII. war der Hexenproceß förmlich in Deutschland eingeführt, und alle Obrigkeiten, besonders die Geistlichkeit angewiesen worden, jeden der Hexerei verdächtigen, das heißt jeden, der beschuldigt wird, durch Hülfe des Teufels oder böser Geister Zauberei zu treiben, als dem schwarzesten Verbrechen, den Proceß zu machen, und nach erfolgter Überweisung gleich einem Ketzer durch den Scheiterhaufen zu bestrafen. Unzählige Unglückliche sind in allen Ländern das Opfer dieses Wahnes geworden, und weder durch die Wiederherstellung der Wissenschaften im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert, noch durch die Reformation verschwand der Glaube an Hexerei und den Einfluß der bösen Geister auf die Natur und den Menschen, und dauerte unter den Protestanten, wie unter den Katholiken fort; ja selbst im achtzehnten Jahrhundert sind noch Menschen wegen Hexerei hingerichtet worden.

Als die Gottesgerichte bei der Untersuchung anderer Verbrechen schon fast überall abgekommen waren, blieb doch die Wasserprobe bei vermeintlicher Hexerei noch fortwährend im Gebrauch. Man legte die Angeklagten gebunden auf das Wasser, und wenn sie auf demselben eine Zeitlang schwammen, ohne unter zu sinken, so wurden sie für überführt erklärt und zum Feuertode verdammt. Zuweilen bediente man sich auch der Hexenwage, durch welche das Verbrechen bewiesen wurde, wenn die Gewogenen, nach der Meinung der Richter, nicht schwer genug wogen. In Potsdam benutzte man zu solchem Hexenbade, wie dies Verfahren genannt wurde, den faulen See.

Dieses tiefe, trübe Wasser, umgeben von einer morastigen Bruchwiese, lag außerhalb der alten Stadt in der Mitte des jetzigen Wilhelmsplatzes; später wurde es durch einen Canal, der in ähnlicher Richtung, wie der jetzt die Stadt durchfließende, geführt war, mit der Havel verbunden; dann, als sich Potsdam unter Friedrich Wilhelm I. bis an das Bassin erweiterte, ließ der König den faulen, die Luft verpestenden Sumpf ausfüllen und seine jetzige Gestalt geben. Diese Arbeit hat viele Zeit und viel Geld gekostet; der Morast schien unergründlich; oft versank in einer Nacht, was an Steinen und Erde während Monaten aufgeschüttet war, und um die Häuser umher aufführen zu können, mußte ein ganzer Wald von Baumen, zwei und drei Reihen über einander, in den Boden gerammt werden, und doch war man oft gezwungen, sie wieder einzureißen, um den Grund von neuem fest zu machen. Ohne alle Vorzeichen sank bald hier, bald da eine scheinbar feste Stelle unter, und selbst der König wäre einmal, als er die Anlagen besichtigte, fast das Opfer eines nicht die Stärke seines Pferdes gerettet hätte. Ja noch jetzt senkt sich an manchen Stellen die Fläche des Platzes, der fast alljährlich neu geebnet werden muß. Durch diese Eigenschaft des Bodens soll einmal gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts, wie durch ein Gottesgericht, die Unschuld einer Angeklagten bestätigt, der falsche Kläger aber selbst gerichtet sein.

Es trieben sich zu der Zeit in der Mark viele Crucesignaten umher, D. h. Menschen, welche sich ein rothes Kreuz auf die Schulter geheftet hatten, als ein Zeichen, daß sie gelobt, gegen die Heiden zu fechten. Unter diesen war viel böses Gesindel, und da die Geistlichkeit, welche sich über sie die Gerichtsbarkeit anmaßte, sich ihrer, so viel immer thunlich, annahm, so wurde von ihnen manche freche That, und Betrug aller Art verübt. Ein solcher Crucesignate hatte eine alte Frau in Potsdam, von der er wußte, daß sie etwas Geld erspart, beredet, dieses durch ihn ihrem Sohne zu schicken, der als Lanzenknecht mit einem havelländischen Ritter nach Preußen zu den Kreuzherren gezogen war. Der Frau aber war der Mensch verdächtig geworden, und sie wollte ihm das Geld nicht anvertrauen, wobei es zu bösen Reden kam. Das verdroß den Schelm, er klagte die arme Frau der Hexerei an und sagte gegen sie aus, daß sie ihn habe fest machen wollen gegen alle Verwundung, wenn er ihr ein dreijähriges Kind bringen würde, dessen Zunge, Herz und Finger sie zu ihrem Zauber gebrauche. Da die arme Frau diese schändliche Anklage nicht eingestand, warb sie zur Wasserprobe geführt, und langte, von den Henkern geschleppt, fast bewußtlos auf der Wiese am faulen See an.

Hier vermahnte sie der Geistliche noch einmal, ihre Sünde zu gestehen, und der Henker, welcher unweit der jetzigen Scharfrichterei — wo auch die Sackbrücke in die Havel führte, von welcher bis zum Jahre 1740 die Kindesmörderinnen, in einen Sack gesteckt, eine Stunde lang ins Wasser getaucht wurden - schon den Holzstoß zu ihrer Hinrichtung bereitet hatte, schnürte ihr die Hände und die Kleider fest zusammen. Dann forderte der Priester den Crucesignaten auf, seine Anklage noch einmal laut zu wiederholen, und dieser, der sich auf eine etwas erhöhte Stelle am Rande des Sees begeben, begann dieselbe mit lauter, widerlich heiserer Stimme.

Kaum aber hatte er sie vollendet, und Gott zum Rächer aufgerufen, wenn er nicht die Wahrheit spräche, da sank die Stelle, worauf er stand, ein und der schwarze Moorschlamm zog sich über ihn zusammen. Die Menge schrie alsbald Wunder, und der Priester führte die halbtodte Frau, durch ein unmittelbares Gottesurtheil frei gesprochen, im feierlichen Zuge zur Kirche. Das Volk aber freute sich sehr, denn jeder hatte die Angeklagte von je her als eine gute, fromme und stille Frau gekannt. 

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung