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Ferch

In der schönen Jahreszeit, wo der Frühling in den Sommer übergeht, verließ ein junger fränkischer Ritter, der mit seinen Knappen aus einem Kriegszuge gegen die heidnischen Litthauer zurück kam, spät am Nachmittage die Herberge zu Potsdam, in welcher ihn ein heftiges Gewitter zurückgehalten hatte, um seinen Weg nach der geliebten Heimath hin fortzusetzen. Ein warmer, würziger Duft schwebte über der Erde, Gräser und Laub wiegten sich erquickt in den Strahlen der sinkenden Sonne, welche unter der dichten Wolkenschicht, die noch den größten die noch den größten Theil des Himmels bedeckte, hell und kräftig hervortrat und in den Tropfen widerglänzte, welche die durstigen Gewächse noch nicht eingesogen hatten.

Die Brust des Ritters hob sich höher in der erquickenden Luft, worin sich der Geruch der Blumen und Kräuter mit dem Duft der feuchten Erde mischte, und indem er langsam durch die Wiesen und Saatfelder zog, hing sein Blick an den fernen blauen Wolkengebilden, die wie die Berge seiner Heimath, den Horizont begränzten, und freundliche Bilder mancher Art zogen in seiner Erinnerung vorüber.

Eben wollte er sein Roß zu schnellerem Laufe antreiben, als er von einem Jagdzuge eingeholt wurde, an dessen Spitze auf leichtem Zelter sich eine schöne, hohe Dame befand, den Falken auf der Hand haltend. Er wollte grüßend den Zug vorbei lassen, aber die hohe Jägerinn hielt das muthige Pferd an, und der Blick des Ritters war wie festgebannt an der vollen, reizenden Gestalt und den dunklen, brennenden Augen, die aus einem fast marmorbleichen Gesichte unter dichten, glänzend schwarzen Locken mit Wohlgefallen auf ihm zu ruhen schienen. Bald ritten beide in traulichem Gespräche neben einander. Es war ihm, als sei Alles anders an der schönen Frau, wie er es je bei einer andern gesehen: ihre Kleidung, der Blick ihres Auges, der Ton und Ausdruck ihrer Sprache. Was sie sprach, war ihm, obgleich so neu, doch so wenig fremd. Ohne daß er es wollte, sagte er ihr alles, was er sich bisher kaum selbst gestanden oder klar gemacht hatte. Mit jedem Augenblicke fühlte er sich mehr zu der wunderbaren Erscheinung hingezogen; bald schien es ihm, als habe er sie schon lange gekannt, und sie kenne jedes Geheimniß und jede Empfindung seines Lebens und Herzens, und wenn er dann hinweg sah in die Gegend, erschreckte er über die Veränderung seiner selbst, der er sich in solchen Momenten bewußt wurde; trafen ihre Blicke aber wieder zusammen, dann sah er nur das schöne Weib und fühlte, daß er ihr treueigen sei bis in den Tod.

Ganz natürlich erschien es auch dem Ritter, daß er abbog von seinem Wege und der Jägerinn folgte längs den Ufern des Schwilowsees bis hin in die stile, einsame Gegend an seinem unteren Ende, wo jetzt das Dorf Ferch in den Wellen sich spiegelt, damals aber ein hoher, dunkler Urwald sich ausbreitete. Wie hätte es anders sein können, als daß er dort mit ihr einzog in das reiche, üppig ausgeschmückte Waldschloß, und daß dort für ihn ein Leben begann, das nur glückliche Stunden hatte, in welchen alles Fühlen und alles Denken sich nur hinwandte zu der schönen, wunderbaren Herrinn und seiner Liebe zu dem reizenden Weibe, und daß für ihn keine Vergangenheit und Zukunft mehr war, nur der Genuß der Gegenwart. Langsam und undeutlich erwachten erst nach und nach in diesem Vergessen seiner selbst die Erinnerungen des Ritters wieder, und er fing an, sich auf Augenblicke seines Zustandes bewußt zu werden. Obgleich darin ein neues Glück für ihn zu siegen schien, so zogen doch auch wie leichte Wolken zuweilen Gedanken durch sein Inneres, die ihren Schatten noch Tage lang auf seine Freuden deckten, und dieser Wolken schwebten immer mehrere über den Horizont seines Glückes.

Die Herrinn seines Herzens schien davon nichts zu ahnden; ihre heiße, glühende Liebe schlug wie Wogen über ihm zusammen, und in ihren Augensternen brannte ein Feuer, das die Wolken zertheilte und jeder Empfindung sich bemeisterte. Nur wenn er, zu ihren Füßen liegend, von der Tiefe und Innigkeit seiner Liebe zu ihr sprach, und den reichen, schönen Inhalt seines Gemüths vor ihr ausbreitete, dann sahen ihn die dunklen Augen oft so eigen an; ihm schien es, die Geliebte verstehe ihn nicht, und seine glühenden Gefühle fänden keine Heimath in ihrer Seele und keinen Widerhall in ihrem Herzen. Dann schreckte er oft schaubernd zusammen, und es war ihm, als sei der blühende Körper, den er, geschmückt mit allen Reizen, an seine pochende Brust drückte, innen kalt, todt und ohne Seele, und das Feuer der schwarzen Augen werde nur durch das Blut seines Herzens und die Flamme feines Lebens genährt. Die schöne Waldfrau aber ließ solchem trüben Sinnen nicht lange Raum, und immer neue Feste und Zerstreuungen wußte sie zu erdenken, die ihn betäubten und nicht zum Bewußtsein kommen ließen.

Als der Ritter aber nicht mehr vermochte, die Veränderung seines Zustandes zu verbergen, da suchte er die quälenden Vorwürfe über die Erkaltung seiner Liebe damit abzuweisen, daß er vorgab, er sehne sich nach den Bergen seiner Heimath, es sei ihm fremd hier in dem flachen, gleichförmigen Lande, und so schön der dunkle Wald hier wäre, so sei er doch auch endlos und ohne Wechsel.

Da führte ihn am andern Morgen die seltsame Geliebte auf den Soller des Schlosses, und ersah Alles rings umher verändert; statt des flachen Strandes erhoben sich rundliche Hügel und schon geformte Bergkuppen längs den Ufern, fielen hier steil zu dem Wasser hinab, zogen sich dort weit zurück und ließen Raum für Buchten und Wiesen, welche sich weit hin in die lieblichen Thaler zogen, und durch welche unter grünem Farrenkraut helle Wasser plätschernd dem Spiegel des Sees zueilten; statt des finstern Kiefernwaldes waren Hügel und Thäler mit Gruppen von mannichfachem Laubholze bewachsen; schlanke Birken und hohe, bemooste Eichen mischten sich zum Hain über glatten, blumigen Rasen, und duftige Erlen und schwankende Weiden begleiteten die Ufer der Gewässer. Die Waldfrau hatte mit mächtigem Zauber die ganze Gegend verwandelt, über welche sich durch ihre Macht ein immer heiterer, sonniger Himmel wölbte. Wohl kannte sie die geheimen Mittel, welche mit gewaltiger Kraft der Natur und ihren Erscheinungen gebieten - aber das Herz des Menschen kannte sie nicht.

Kaum war der Ritter hinaus getreten in die schöne Natur, so wachte die Erinnerung an das Land seiner Jugend, die Burg seiner Väter, die Gespielen seiner Kindheit mächtig in ihm auf, und sein Herz wurde erfüllt von heißer Sehnsucht nach den Menschen, nach ihrem Leben und Treiben, Leiden und Freuden. Wie ein Schleier sank der Zauber von seinen Augen, und fremd und unheimlich war ihm der Blick aus den dunklen Augen der schönen Frau, die an seiner Seite über den Eindruck staunte, den ihr Werk auf ihn machte. Er konnte den Druck ihrer Hand nicht erwiedern, und wandte sich scheu ab, als sie ihn an sich ziehen wollte.

Wohl versuchte es die Waldfrau mit aller ihrer Kunst ihn von Neuem in Liebeslust zu entflammen; als sie jedoch sah, daß er für sie verloren war, da stand sie einen Augenblick sinnend vor ihm, und in ihren Augen drohte es wie Rache; dann aber schüttelte sie das dunkellodige Haupt, warf einen Mistelzweig in die Luft, und verschwunden war das Waldschloß; der Ritter stand allein in der einsamen Gegend, über welche ein feuchter Herbstwind die welken Blätter der Bäume kräuselnd dahin trieb.

Der Ritter ist dann zu seiner Burg in Franken gezogen, auf der er lange Zeit einsam gelebt; dann hat er ein holdes, sittsames Weib heimgeführt, und muntere Kinder haben ihn umspielt; doch hat man ihn oft einsam sitzen sehen in den Bergwäldern, den leuchtenden Blick in sich versenkt, mit schmerzlichem Lächeln, wie sinnend und träumend und ferner Tage gedenkend. Sein Antlitz aber ist marmorbleich, doch ohne alle Spuren des Alters geblieben, bis zu seinem Tode.

Die waldigen Höhen und grünen Wiesen bei Ferch sind auch geblieben; noch plätschern die Wasser unter den Erlen durch das Farrenkraut, Gruppen von uralten Eichen und mannichfachem Laubholz ziehen sich in die freundlichen Thäler und folgen den schön gebogenen Ufern bis Petzow hin, und längs dem Abhang des Hügels, worauf das Waldschloß stand, sehen jetzt die rebenbekränzten, weißen Häuser des Dorfes unter blühenden Obstbäumen und schattigen Linden hervor.

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung