<<< zurück | Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit | weiter >>>

Das Grab am Spring

(Am Fußwege nach Templin unweit des Tornow ’s.)

In dem Spring am freundlichen, grünen Wiesengrunde wohnte eine Wassernixe, die war sehr gut und sehr schön. Der Nix vom Schwilow, der feine reich geschmückte Wohnung im See bei Caput hatte, wollte sie gern zu eigen haben, und mit ihr die Herrschaft über die Wasser bis zu der Nuthe. Da er aber unbeständig und grausam war, halfen ihm alle seine schönen Worte nichts; die Nixe vermied seine Nähe, und auf den glänzenden Festen, welche die Fürstinn der Havel den Wassergeistern in hellen, warmen Mondscheinnächten auf den grünen Inseln gab, berührte nie ihre Hand die seine, und stets hatte sie einen Grund, um die mit süßem Trank gefüllte Muschel abzulehnen, welche er ihr immer wieder vergeblich bot.

Das verdroß den Nix gar sehr, und er fing an, der schönen Nachbarinn gar mancherlei übeles zu thun. Bald staute er das Wasser des Schwilows vor der schmalen Flußenge bei Caput, daß das Havelwasser nicht ablaufen konnte, und alle Wiesen und Erlenwäldchen der Nixe überschwemmte; bald verlockte er ihre Lieblingsschwäne, tödtete sie und warf sie entseelt ans Ufer, oder häufte die Eisschollen im Frühlinge hoch am Wendorf auf, daß sie, vom Thauwinde zurück getrieben, noch lange auf dem Wasserspiegel umher schwammen. Die Tornow - Nixe aber erwiederte das Böse nicht. So traurig es sie auch machte, und da sie auf ihrem Gebiete eben so mächtig war, als ihr Feind, auch ihr die Fürstinn Schutz zugesagt hatte, so lebte sie unbesorgt, verschönerte ihre Ufer und that den Menschen, welche diese bewohnten, so viel Gutes, als sie vermochte; denn sie liebte die Menschen sehr, besonders wenn sie jung und schön waren.

Zu dieser Zeit lebte auf der Burg Potsdam ein junger Ritter, der hieß Hugo, und war verwundet worden in einer Fehde mit einem havelländischen Ritter. Er wurde langsam wieder gesund, denn seine Wunde ging tief in die Brust. Da saß er oft im Schatten an der blauen Havel, oder ließ sich im leichten Kahne auf ihren Wellen schaukeln, und dachte an künftige Schlachten und Kämpfe, und eben sonst nichts weiter. Die Nixe hatte ihn so gesehen und sah ihn immer lieber; bald wußte sie die Stunde, wann er sich hinaus ins Freie führen ließ, und war immer schon früher am Ufer, als der Ritter. Weil er aber, wie der Meister Doctor geboten, am Abend wieder daheim sein mußte, auch nie allein war, so konnte die schöne Nixe sich ihm nicht zeigen, und wurde sehr schwermüthig und ungeduldig.

Endlich aber konnte der blasse Ritter ohne Hülfe gehen und kam ohne Geleit. Deß freute sie sich sehr, und als er sich unter die schlanken Weiden am blühenden sammtgrünen Ufer niedergelassen hatte, da plätscherten die Wellen so weich zu seinen Füßen, und über das blinkende, wogende Wasser tönte es so gar schwingend und verhallend, daß er bald in einen süßen Schlaf versank. Kaum aber war dies geschehen, so tauchte die Nixe auf, setzte sich an seine Seite, und hob sein Haupt auf ihren Schooß. Wohl schlug er die Augen auf; als er jedoch in ihre tiefen blauen Augen blickte und das schöne Gesicht sah, über welches die hellgoldenen Locken herabsanken auf den weißen Nacken, und die Wellen so eigen und nie vernommen fort tönten um ihn her, da glaubte er, er träume und sähe einen Engel. Das war ihm ein schöner Traum, denn oft kam es ihm vor, als senke sich das helle Engelsgesicht auf ihn herab und die rothen Korallenlippen berührten warm seinen Mund.

Den ganzen Tag konnte er den Traum nicht ausdenken, und früh ging er zur Ruhe, um wieder so vom Himmel und seinen Engeln zu träumen; aber der Traum des Tages verscheuchte den Schlummer der Nacht. Um andern Tage jedoch wanderte er bewußtlos wieder zur grünen Stelle am Ufer, und wieder blinkten und tonten die Wellen und fühlte die Wärme der rothen Lippen.

Eine Reihe von Tagen träumte er so, und fühlte sich immer wohler und kräftiger, wann er erwachte; immer größer und lebendiger wurde aber auch das neue, ihm gänzlich unbekannte Gefühl in seiner Brust, die Sehnsucht. — Der Arzt wunderte sich der schnellen Genesung, und als eine Woche vergangen war, sprach er ihn frei und gesund. Dies geschah am Lage des Vollmondes im Julius. Der Abend war so milde und duftig, daß Hugo noch hinaus ging unter die Weiden, griff er das Ruder und ließ sich von den Wellen schaukeln, über welche der Glanz des hellen Mondes eine breite, blinkende Bahn gezogen hatte. Die glänzenden Wellen plätscherten nun wieder so weich an dem leichten Kahne, und aus der Tiefe klang es so süß einlullend, daß er immer an sein liebes Traumbild denken mußte, und nicht merkte, wie er von dem Wasser an die kleine grüne Insel getrieben wurde, welche noch jetzt, unweit des Badehauses, von flisterndem Schilf umgürtet wird.

Über der Insel unter den Erlen aber war ein wunderbarer Duft, und der Mondglanz erhellte dieselbe mit seinem weißen Lichte so glänzend, daß es fast schien, als sei es Tag auf derselben, und rings umher habe ihn die Dämmerung eingehüllt. Kaum hatte der Ritter das Ufer betreten, so sah er die schöne Nixe mit den hellen Locken im leichten blauen Gewande vor sich stehen. Er war aber gar nicht verwundert, denn ihm schien, als träume er wieder. Als sie jedoch ihre weißen, warmen Arme um seinen Nacken schlang, und ihm mit süßen, nie gehörten Tönen sagte, daß sie ihn liebe, da merkte er wohl, daß er wache, obgleich ihn ein Engel küsse.

Nun begann ein reiches schönes Leben für den Ritter, der bald mit heißer, inniger Liebe der schönen Wasserfrau zugethan war, die ganz für ihn zu leben schien. Wann das Abendroth verglomm, bestieg er den Kahn, und die wilig dienenden Wellen führten ihn der Geliebten zu, die seiner bald an einem sprudelnden Quel in kühler Uferbucht, bald unter den duftenden Blumen eines Eilandes harrte. Als aber vier Wochen schnell vergangen waren, und der Vollmond wieder am blauen Himmel glänzte, da führte die schöne Nixe ihn längs den Windungen des kleinen, leise murmelnden Baches bis zu dem Spring, wo sie wohnte; und während sie unter den flisternden Erlen kosend wanderten, erzählte sie dem Ritter, wie es ihr in jeder Vollmondnacht gestattet sei, einen Menschen in ihre Wohnung zu führen. Als sie dann an den hell sprudelnden Quell unter den bemoosten Buchen kamen, da leuchtete es gar wundersam aus der Tiefe des Wassers, und wogende, klingende Töne brachen sich, sanft verschwebend, an den moosigen Wänden des Thales.

Heller und glänzender jedoch blinkte es noch in dem Hause der Nixe, das sich, eine schön gewölbte, krystallene Höhle, von tausend bunten Lichtern erhellt, in mannigfachen Windungen bis weit unter den Berg hin erstreckte. Der Ritter aber sahkaum die schimmernde Pracht, nicht die seltsam geformten Korallen und Blumen, nicht die kostbaren Muscheln und Perlen, noch die rankenden Metalladern, vernahm kaum die wunderbaren Klänge; er sah nur in die tiefen blauen Augen der schönen Braut und hörte nur die Versicherung ihrer Liebe. So lebten die Glücklichen lange Zeit, und wenn auch der Ritter im Gefolge seines Lehnsherren oft weit hinweg zog zu Fehden und Turnieren, dann war die Nixe zwar traurig, und oft beneidete sie die Menschen, die weinen können vor Sehnsucht und Schmerz, was den Geistern versagt ist; bald aber trug der stets bereite Kahn ihn wieder in ihre Arme, und nie versäumte er, die Vollmondsnächte im glänzenden Krystallhause unterm Spring zu feiern. -

Das sorgende Wasserweib hatte dem Ritter einen Talisman geben wollen, um ihn zu schützen gegen jede Wunde von ungefeiter Waffe; der kühne Hugo aber hatte ihn von sich gewiesen, als einen unwürdigen Schutz des Mannes, der seiner eigenen Kraft vertrauen müsse. Doch ohne daß er es wußte, hatte sie denselben im Knoten seiner Feldbinde befestigt, und so sah sie ihn beruhigt in den Kampf zu Ernst und Schimpf ziehen. Eine andere Gefahr konnte die Nixe jedoch nicht von dem Geliebten abwenden; nur bitten konnte sie ihn, das Gebiet des Nix vom Schwilowo zu vermeiden, denn dieser, als er die Liebe der schönen Nachbarinn zu einem Menschen sah, entbrannte in wilder Eifersucht und versuchte auf jede Weise ihm zu schaden. Weil er aber nur Macht über die Menschen hatte, wenn sie in sein Gebiet kamen, so konnte er dem Ritter nichts anhaben, der dieses, nach dem Versprechen, welches er der fürchtenden Geliebten gegeben hatte, nie betrat.

Eine gar besondere Freude war es für die Nixe, wenn sie die Plätze am Ufer, wo es dem Ritter gefiel, oder wo sie mit einander gewandelt oder gesessen hatten, ausschmücken und verschönern konnte. Schilf, Moos, rankende Sträucher und blühende Bäume sprotzten durch ihre Macht um die traulichen Orte, und die bunten, singenden Vogel wußte sie zu kirren, daß sie ihre Nester in den Zweigen bauten. Vor Allem aber war es die hügelige Gegend zwischen dem Spring und der Havel am Tornow, die sie in einen freundlichen, schattigen Garten verwandelte, wovon noch jetzt, nach so langer Zeit, die Spuren dort zu sehen sind, und hier wandelte das glückliche Paar an manchem stillen Abend und in mancher hellen, lauen Mondnacht.

Es traf sich aber in dieser Zeit, daß freche Räuber die Besitzungen des reichen Klosters Lehnin bedrohten, und Hugo 's Lehnsherr zog aus, um sie zu fangen, und ihre Schlupfwinkel in den dichten Wäldern am südlichen Ufer der Havel zu zerstören. Nachdem er dies bewerkstelligt hatte, lud der Abt die Ritter zum frohen Mahle, und drei Tage lang kreiste der volle Becher an der reich besetzten Tafel der dankbaren Mönche. Am Mittage des zweiten Tages jedoch beurlaubte sich Hugo, denn es war der Tag vor dem Vollmonde, und sein Herz trieb ihn zum Spring.

Um nicht dem Schwilow zu nahe zu kommen, wählte er einen wenig betretenen Waldweg, und schon stieg der Nebel von den Wiesen auf, als er zu einem einsam gelegenen Weiher gelangte, an dem jetzt das Linowitzer Forsthaus liegt. Der Weg führte quer über die Wiese und durch das seichte Fließ, welches in dem Weiher seinen Ursprung hat; hier war der Nebel kalt und feucht und wurde mit jedem Augenblicke dichter. Hugo trieb sein Pferd an, um wieder festen Boden zu gewinnen, denn immer tiefer sank dasselbe ein in den moorigen Grund, nach welcher Seite hin er es auch wenden mochte. Ein heulender Wind hatte sich erhoben und trieb den Nebel zu wunderbaren Gestalten zusammen, die bald baumhoch emporstiegen, bald sich wie mißgestaltene Ungeheuer und Riesenschlangen auf dem Boden wälzten. Immer dichter drängten die grauen Gestalten zu ihn heranbogen sich hoch über ihn und drückten ihn endlich gewaltig in den weichen Boden, der unter ihm wich und sich über seinem Haupte wieder schloß.

Hier befand er sich in einer dunklen feuchten Höhle, nur von matten blauen Flämmchen erleuchtet, welche über den ockerfarbenen Boden krochen und die widerlichen Gezweige und Wurzelgeflechte zeigten, welche die Wände und Decke bildeten. Er konnte kaum athmen, denn die dicke Luft preßte seine Brust zusammen, und die Schwefeldünste, die von den blauen Lichtern aufstiegen, drohten ihn zu ersticken. Vergebens suchte er einen Ausweg; wohin er tappte, umgaben ihn, wie Spinngewebe und Polypenarme, die Ranken und Wurzeln. Bald verließen ihn sein Kräfte, wirre Bilder erfüllten seine Sinne, zwischen deren dunklen Gestalten immer matter die tiefen blauen Augen der schönen Nixe hervor glänzten; schlug er aber die Augen auf, so waren es die blauen Schwefelflammen, und statt der weißen Lilienarme langten die zadigen Wurzeln verstrickend nach ihm. Bald athmete er nur noch schwer; dann erstickte ihn der giftige Schwaden.

Der lauernde Nix hatte ihn getödtet. Der Weiher gehörte zu seinem Gebiete; denn von ihm aus ergießt sich das schmale Fließ nach langen, weiten Krümmungen in den Schwilow. Grinsend führte der boshafte Nix den entstellten Körper davon, hoch auf peitschte er die Wellen des Schwilows, über den sich dichte Hagelwolken prasselnd entluden; ein heulender Nordwest - Sturm, der wie höhnendes Lachen klang, warf den Leichnam zu den Füßen der harrenden Braut.

Die schöne Nixe mit den blonden Haaren trug ihn stumm zu ihrem Hause unterm Spring, hob fein Haupt auf ihren Schooß, und sah ihn an mit den trockenen, tiefen blauen Augen, bis der Mond unterging. Am Morgen aber bettete sie sein Grab dicht zur rechten Seite am Quell und wölbte einen hohen Hügel über dasselbe, der noch jetzt sich dort erhebt, von Brombeerranken und Farrenkraut dicht überwachsen. Sie selbst aber verließ die Gegend; der helle Wasserstrahl, der sonst so lebendig hervorsprudelte, wurde ein trübes Fenn, und statt des plätschernden Baches, der durch die Wiesen zur Havel eilte, schleicht jetzt ein langsames Fließ unter den Erlen hin.

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung