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Die Kirche im Walde

Nach langen Kämpfen waren gegen das Ende des zehnten Jahrhunderts die Wenden an der Havel unter der Regierung Otto III. wieder von den Sachsen bezwungen worden. Otto, fast noch ein Knabe, schenkte den Potsdamer Werder seiner Tante Mathildis, Äbtissinn von Quedlinburg, welche bis zu ihrem Tode im Jahre 999 im Besitze desselben blieb, dann aber bemächtigten sich die Wenden dieser Gegend wieder.

Da, wo jetzt der freundliche klare Wasserspiegel des Heiligen Sees glänzt, zog sich damals nur eine vielfach gewundene Bruchwiese durch den dunklen Eichenwald bis an die Mauer des kleinen Städtchens Potsdam, welches einen Theil der jetzigen Burgstraße und des alten Markts einnahm. Auf einem flachen Hügel in der Wiese, fast in der Mitte zwischen den Punkten, wo jetzt das Marmor - Palais und die Bibliothek stehen, hatte die fromme Mathildis eine Kapelle erbauen lassen und ihr ein Muttergottesbild verehrt, deren Schleier sie selbst mit ihren Frauen stickte.

Eine schöne, hell klingende Glocke ertönte zur Mette und Vesper jeden Morgen und Abend weithin durch den einsamen Wald, und mahnte rings umher zur Andacht und zum Gebet. An den drei Tagen des Pfingstfestes aber rief sie zu einer besonderen Feier, denn in der Zeit waren nach dem Willen der Stifterinn heilige Reliquien in der Kapelle ausgestellt, und ein ehrwürdiger Mönch, von der Äbtissinn, gesandt, las dort am zweiten Pfingsttage die Messe: Von allen Seiten her zogen dann die geschmückten Bewohner der Umgegend herbei, und unter den mit dem ersten frischen Grün bedeckten Zweigen wogte es gar bunt und fröhlich; denn es war die Messe bei der Kapelle unserer lieben Frau im Walde zu einem beliebten Volksfeste geworden, zu welchem sich Jung und Alt schon an manchem langen, dunklen Herbstabende freute.

Nach einem harten, schneereichen Winter, der gar kein Ende nehmen wollte, sproßen endlich Maßliebe und Veilchen; die Lerchen verkündeten den wiederkehrenden Frühling und schwebten fröhlich in der lauen Luft über den wieder grünen Wiesen. Schon fing das gelbgrüne, duftige Laub der Birken an sich zu dunkeln, und die langen Blüthentrauben der Eiche brachen zugleich mit den krausen Blättern aus den braunen Knospen. Da klang das helle Glöckchen durch den Wald, und in die silberklaren Tone zwitscherten und flöteten die kleinen Sänger in den Zweigen so fröhlich, und die Morgensonne schien so warm und lockend zwischen den moosigen Räumen hin auf den blumenbunten Boden, daß, wer nur konnte, hinaus ging zur Pfingstmesse nach der Kapelle im Walde; waren auch die Wege noch tief und naß, manche sogar vom Wasser der Havel bedeckt, welche weit über ihre Ufer getreten war.

Die aber hinaus gezogen an jenem schönen Pfingstmorgen sind alle nicht wiedergekehrt. Der grüne Hügel sank mit ihnen unter, ein See trat an seine Stelle und verhüllte mit seinem glatten Spiegel alles, was in seinen Schooß sank. Das helle Glöckchen der Kapelle ist nicht mehr gehört worden, weit hin schallend durch den Wald; aber am zweiten Pfingstmorgen, zur Zeit der Mette, da tönt es herauf aus der Tiefe in hellen, leisen Tönen, und durch die plätschernden Wellen des Heiligen Sees murmelt es wie ferner Kirchengesang.

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung