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Der Babelsberg

Der Babelsberg soll einst noch eine dritte Kuppe gehabt haben, da, wo er jetzt bei der Mühle nach der Stadtseite hin steil gegen die Havel zu abfällt, deren langsamer Lauf dort in eine kreisende Bewegung übergeht. Auf dieser hohen Ruppe stand die Burg eines mächtigen Wendenritters, der ringsumher sehr gefürchtet war wegen seiner Habsucht und Grausamkeit. Wer durch sein Gebiet zog, mußte sicheres Geleit theuer erkaufen, und doch hatte er zu fürchten, unter irgend einem Vorwande beraubt oder in den tiefen Burgkerker geworfen zu werden, bis er sich auslösen konnte. Auf der Landszunge bei Sakrow stand ein Thurm; dort mußten alle Schiffe, welche die Havel befuhren, einen hohen Zoll geben; ein anderer, wie jener erbaut, erhob sich auf der Landzunge unterhalb des Babelsberges. Jedes Schiff, das zwischen den beiden Thürmen das Land berührte, war mit Mann und Ladung dem Grundherrn verfallen, was auch die Ursache fein mochte, weshalb sein Kiel an das ungastliche Ufer stieß.

Von einem tief eingeschnittenen Graben umgeben, ward die aus mächtigen Balken und Feldsteinen erbaute Burg fast ganz von dem hohen steilen Erdwall verdeckt, über welchen sich nur das thurmartige Mittelgebäude drohend erhob, in welchem der Ritter mit seinen Raubgenossen hauste, und von wo man aus in alle Richtungen spähen konnte über das Land und die Havel mit ihren Seen und Armen. Von einem Kriegszuge jenseits der Elbe gegen die Sachsen hatte der Wendenritter ein junges, schönes Edelfräulein mitgebracht, deren Stammsitz zerstört und deren Verwandte erschlagen waren. Das zarte, blondgelockte Mädchen machte der Ritter zu seiner Frau und spottete an seinem Hochzeitfeste roh und hart der Thränen, welche die arme Braut dem Andenken ihrer Eltern und Geschwister, ihrer Heimath und ihren Gespielen weinte. Wo aber am Hochzeittage der Kummer Thränen in die Augen preßt, da werden sie nur getrocknet in den kommenden Tagen, wenn Ergebung und Schmerz das Herz erkältet haben. Die arme Mechtildis in der einsamen finsteren Burg an der Havel, die sie nie verlassen durfte, hat auch nur zum ersten Male wieder gelächelt, als sie im zweiten Jahre ein holdes, freundliches Kind an ihre Brust drückte.

Nur von rohen Dienerinnen umgeben, deren Sprache Mechtildis nicht verstand, von ihrem Eheherrn unzart und launisch behandelt, oft gezwungen, an seinen wilden Festen und Gelagen Theil zu nehmen, von der ganzen Welt streng getrennt - denn keinem Wanderer oder Pilger ward das Thor geöffnet — hatte die arme Frau nur die Nadel und Spindel, um die langen Stunden zu verkürzen; wie arm aber ist die Freude an seinen Werken für den, der Niemand hat, dem er durch sie Freude bereiten kann. Die beste Zeit war noch, wenn der Ritter die Burg verlassen hatte, von welcher ihn Raubzüge, Feste und Jagden oft Wochen lang entfernt hielten. Dann durfte Mechtildis sich auch um die Gefangenen bekümmern, welche in den tiefen Gefängnissen unter der Burg schmachteten, und obgleich des Ritters strenges Gebot ihr nicht erlaubte, die traurige Lage der Unglücklichen zu ändern, gelang es ihren sorgfältigen Bemühungen doch oft, sie zu erleichtern, und durch Trost und Theilnahme Ergebenheit und Hoffnung zu erwecken. In diesen Beschäftigungen konnte Mechthildis allein die Vorschriften ihrer Religion üben; denn sie, eine Christin, durfte sonst durch keine Handlung und kein Wort den Ritter daran erinnen, daß sie dem verhaßten Volke der Christen angehört habe, und obgleich er sich wenig um seine Götter kümmerte, hielt er doch mit grausamer Strenge darauf, daß seine Frau keine der Gesetze und Gebräuche ihrer Kirche erfülle.

Als die Zeit heran kam, da Mechthildis Mutter werden sollte, war der Ritter schon seit lange zu einer Fehde ausgezogen. In der Nacht nun, da sie eines holden Mädchens genas, war sie ganz allein in ihrem Gemach und ohne Hülfe; da öffnete sich der Boden, und kleine Frauen, seltsam anzuschauen, stiegen aus der Erde herauf, standen ihr bei und pflegten sie; badeten dann das neugeborene Mägdlein und bekleideten es mit buntem sonderbar geschmückten Gewande, blieben auch bei der Wochnerin, bis am Morgen die Diener kamen; als sie diese sich nahen hörten, stiegen sie eilig hinab in den Boden, der sich sogleich hinter ihnen schloß. Mechtildis hatte sich erst entsetzt über die wunderbaren Zwerggestalten, die so geschäftig und unhörbar sich um sie bemühten; da sie jedoch sah, wie hülfreich und sorgsam sie waren, dankte sie ihnen mit gar freundlichen Blicken und Worten, wozu die kleinen Frauen lächelnd mit den großen Köpfen nickten.

In dem Berge, auf dem die Burg stand, lebte ein zahlreicher Stamm der Wichtelmänner, deren wohl eingerichtete Wohnungen, bunt geschmückt und von mattem vielfarbigen Glanze erleuchtet, sich weit hin durch die dunklen Thonschichten erstreckten. Sonst hatten sie mancherlei Verkehr mit den Menschen gehabt; seit jedoch der Ritter in die Burg gezogen, waren sie scheu geworden, und ihr Fürst hatte ihnen jede Verbindung mit der Oberwelt verboten; zu der guten Mechtildis Hülfe aber hatte er kluge Frauen hinaufgeschickt, und diese kamen in jeder Nacht wieder, nachdem ihnen die Burgfrau gelobt, zu Niemandem von diesen Besuchen zu reden. Die kleinen theilnehmenden und geschickten Frauen wurden Mechtildis bei jedem Besuche lieber; es ward ihr schwer, sich am Morgen von ihnen zu trennen, und als sie merkte, daß sich diesselben an allerlei Speisen sehr erfreuten, verwahrte sie ihnen immer das Beste von ihrem Mahle.

Das Kind war fast einen Monat alt, als der Vater zurückkehrte. Wie er nun hörte, ihm sei ein Mädchen geboren, stieß er es von sich, zürnte heftig und sagte, ihm sei mehr, als wenn ein Knabe, den er erwartet, ihm gestorben, als wenn ein Kind ihm geboren wäre. Da weinte denn die arme Mechtildis wieder sehr; die Wichtelmänner jedoch versuchten auf alle Weise sie zu trösten, sangen und spielten vor ihrem Bette, und als sie genesen war, wurde sie von ihnen in den Berg hinabgeführt, wo sie ihr sonderbare Geräthe und Kostbarkeiten zeigten, auch mancherlei Kurzweil und Possen trieben, so daß Mechtildis nach langer Zeit wieder lachen mußte, worüber sich die Wichtelmänner sehr freuten. Bald fühlte sie sich nicht mehr fremd unter den Erdgeistern, die auch die freundliche, sanfte Frau und das Kind immer lieber gewannen und Alles aufboten, ihr das Leben zu erheitern und sie zu trösten,

Zwei Winter darauf genas Mechtildis mit Hülfe der Zwerginnen wieder eines Kindes. Da es jedoch abermals ein Mädchen war, fürchtete sie sehr den Zorn ihres Herrn und jammerte und weinte so sehr, daß die kleinen Frauen sie gar nicht beruhigen konnten. Der Ritter aber vernahm das Geräusch in ihrem Gemach und trat so plötzlich herein, daß die Zwerge nicht Zeit hatten, sich in den Boden zu verbergen, ehe er sie erblickte. Als der Unhold nun sab, daß Mechtildis ihm wieder eine Tochter geboren, schalt er sie eine Zauberinn, die Umgang mit bösen Geistern pflege, und seine Kinder vertauscht habe gegen Wechselbälge. Dann ließ er sie ergreifen und sammt den Kindern hinabstürzen in den tiefen Brunnen auf dem Schloßhofe.

Die Wichtelmänner jedoch sorgten dafür, daß Mutter und Kinder nicht beschädigt wurden, richteten ihr eine freundliche Wohnung im Berge ein und pflegten sie wie früher. Mechtildis freute sich der theilnehmenden Sorgfalt der guten Erdgeister, und lebte mit ihren Kindern ein so ruhiges, stilfrohes Leben, wie seit Jahren nicht. Als aber das Eis auf der Havel borst und in Schollen forttrieb, der Schnee an der Mittagsseite des Berges verschwand, und die wilden Gänse in langen Reihen nach Norden zogen, da bemerkte sie unter den Wichtelmännern eine große Unruhe und Geschäftigkeit, auch war das fröhliche Völkchen gar ernst und traurig geworden. In keiner der vielen Höhlen ward mehr gescherzt und Kurzweil getrieben von den jungen Zwergen, und die alten, von manchem Jahrhundert ergrauten, saßen oft in langer, geheimer Berathung beisammen, während die kräftigsten Männer beschäftigt waren, den Berg in seinen Gründen tief auszuhöhlen bis weit unter den Boden der Havel.

Das kümmerte Mechtildis, und weil sie glaubte, ihr Aufenthalt im Berge möchte Ursache dieser Veränderung sein, fragte sie den Fürsten um Auskunft. Der entdeckte ihr, daß er mit allen Wichtelmännern den Berg verlassen wolle, weil der Ritter einen Zauberer zu ihrer Vertreibung in die Burg genommen habe, der ihnen beschwerlich falle mit Beschwörung und Räucherungen; sie auch nicht mehr hausen möchten in der Nähe so böser und grausamer Menschen. Zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche würde er mit seinem Volke fortziehen ins Land der Christen nach den Harzbergen, und er wünsche, daß Mechtildis sie begleiten möge bis dahin, um mit ihnen zu wohnen oder sich eine andere Heimath zu suchen nach ihren Wünschen und Gefallen. Als sie aber fragte, warum denn so emsig gearbeitet würde, den Berg so weit auszuhöhlen und die Gänge tiefer in den Boden zu senken, da lächelte der Gnome so sonderbar, daß Mechtildis fast bange wurde, nickte bedeutungsvoll mit dem kahlen, bärtigen Haupte und sagte: „Hier wird sich mancherlei zutragen und ändern; die Wichtelmänner sind nur so lange die guten Nachbarn der Menschen, als diese nicht böse gegen sie handeln. Manch Jahrhundert wird der Berg hier wüst und verlassen sein, dann aber wird sich auf seinem Rücken eine freundlichere Burg erheben, und von fernen Gegenden werden die Wanderer herbeikommen und sich dankbar des schönen Ortes erfreuen, den ein bevorzugter, seltener Geist mit Allem ausschmücken wird, was Talent, Natur und Kunst im Vereine zu schaffen vermögen.„

Zur Zeit des Frühlingsanfangs trat ein stürmisches, unbeständiges Wetter ein; dann senkten sich die dunklen Wolken zu einem dichten Nebel herab, der weit hin das Land verhüllte, so daß man die Gipfel der Bäume nicht durch den feuchten Dunst entdecken konnte, der sich an den Zweigen sammelte und in dicken Tropfen herabfiel. Mehrere Tage bedeckte er so die Gegend, dann hob er sich langsam aus den Niederungen und sammelte sich um die Gipfel der Hügel, wo er auf und nieder wogte, bis ihn der Ostwind in langen Wolkenstreifen fortführte, durch welche der blaue Himmel immer sichtbarer wurde. Der Babelsberg aber hatte sich ganz verändert. Die höchste seiner drei Kuppen mit der drohenden Burg war verschwunden, steil fiel sein Abhang nach der Havel zu, welche sie verschlungen und sich an seinem Fuße zu einem weiten Becken ausgedehnt hatte.

Die Stelle unterhalb der Babelsmühle in der Havel ist noch jetzt die tieffste weit und breit ihrem Bette, und selten bedeckt hier das Eis den kreisenden Strom.

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung