<<< zurück | Sagen der Lausitz | weiter >>>

Der gespenstige Glöckner zu Zittau

Zu der Zeit, als die Johanniskirche zu Zittau noch stand, ließ sich zuweilen ein Franziskanermönch im Glockenstuhl des Turmes sehen. Er ergriff das Seil, als wolle er die sogenannte Bürger- oder Bierglocke ziehen, die abends um 9 Uhr geläutet wurde, legte aber jedesmal seine Kutte zuvor ab, als hindere ihn diese bei seinem Vorhaben. Diese Gelegenheit paßte einmal der richtige Glöckner ab. Während er den Mönch mit dem Seil beschäftigt sah, nahm er dessen abgelegte, etwas schadhaft gewordene braune Mönchskutte weg, knöpfte sie unter seinen Rock und ging höhnisch lachend nach Hause, als er sah, wie der halbnackte Mönch in großer Seelenangst nach seinem Kleidungsstück suchte. Am nächsten Abend knöpfte der Glöckner die Kutte wieder unter seinen Rock und ging wohlgemut, nur etwas früher als sonst, nach der Kirche. Allein sein Mut fiel gewaltig, als er schon von weitem die dürre Gestalt des Mönchs erblickte, die händeringend sich ganz untröstlich gebärdete.

Froh, daß der Weg nicht gerade an dem kuttenlosen Geiste vorüberführte, eilte der Glöckner in den Turm, läutete und schlich wieder nach Hause, ohne daß ihn die Gestalt verfolgte. Es schien, als sei sie in bestimmte Grenzen gebannt, die sie nicht überschreiten dürfe. Seit diesem Abend sah der Glöckner den Mönch alle Tage immer dieselben flehenden, aber heftigen Gebärden gegen ihn machen; allein so elend ihm bei diesem Anblick wurde, er wagte nicht, die Kutte zurückzugeben aus Furcht, der gefoppte Geist könne keinen Spaß verstehen und ihm vielleicht gar das Genick brechen. So blieb nun die sonderbare Mönchskutte im Besitz des Glöckners bis zu dessen Tode, der freilich schon ein Jahr nach dem Diebstahl erfolgte. War es nun Furcht vor dem täglich erscheinenden Gespenste, oder waren es die Gewissensbisse, die ihm keine Ruhe mehr ließen - der Mann fing an zu siechen, wurde schwächer und schwächer und starb genau am Jahrestage des Kuttenraubes mit dem letzten Glockenschlag.

Sein Nachfolger konnte sein Amt ungestört verrichten, nur am Jahrestage des Frevels erschien fortan der kuttenlose Mönch und flehte unter entsetzlichem Händeringen um Rückgabe des dürftigen Gewandes. Da man trotz allen Suchens die geraubte Kutte nicht auffinden konnte - der Dieb hatte sie wahrscheinlich vernichtet - so beschaffte man eine andere und legte sie dorthin, wo der flehende Geist regelmäßig erschien. Die Gestalt hob das Gewand auf und besah es von allen Seiten; als sie aber bemerkte, daß es nur ein Ersatz war, legte sie die Kutte wieder hin und ging kläglich jammernd von dannen. Der Mönch erschien immer wieder, bis bei der Beschießung der Stadt im Siebenjährigen Kriege der Turm in Trümmer sank.

Quelle: Erich Krawc, „Sagen der Lausitz“, Domowina Verlag 1962;