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Der Besuch beim Wassermann

Der Wassermann war - genau wie die Menschen - verheiratet. Seine Kinder gingen gern in die benachbarten Orte zum Tanz und vergnügten sich dort wie die übrige Jugend. Doch erkannte man sie leicht daran, daß ihr Rock- oder Hosensaum stets naß war. Manchmal ließen sich die Wassermannstöchter von jungen Burschen nach Hause begleiten. Am Wasser angelangt, nahmen sie eine Gerte und schlugen damit auf das Wasser, so daß es sich teilte und sie trockenen Fußes in ihre kristallene Wohnung schreiten konnten, Die lag auf dem Grunde des Teiches oder des Flusses, und kein Mensch durfte sie sehen.

Nur einmal ist ein Bursche hineingelangt. Das geschah in Rauden. Zwei Töchter des Wassermanns aus dem Raudener Teiche gingen nämlich oft ins Dorf zum Tanz. In die eine - Martka hieß sie - verliebte sich der Knecht aus dem Gasthaus. Das Mädchen erlaubte ihm einmal, sie bis an den Teich zu begleiten. Weiter mitzugehen, widerriet sie ihm, denn ihr Vater sei ein sehr roher Geselle. Als er aber nicht nachließ zu bitten, war sie schließlich einverstanden und sagte: „Nun, dann komm mit! Aber pflücke dir erst ein Zweiglein Sumpfschafgarbe und lege es an die Brust; dann hat mein Vater keine Gewalt über dich. Wartka schlug mit ihrer Gerte aufs Wasser: Es teilte sich, und auf einem trockenen Pfade gelangten sie in des Wassermanns Wohnung.

Marikas Vater begrüßte den Burschen arglistig lächelnd. Er brachte ihm eine Mulde Geld; davon durfte sich der Gast drei Hände voll nehmen, aber aus der Mitte heraus. Darauf bot er ihm Kuchen und einen Krug Bier an und nötigte ihn, zu essen und zu trinken. Weil der Knecht aber wußte, daß man beim Wassermann keinen Kuchen anschneiden und das Bier nur über den Henkel trinken darf, so schnitt er den Kuchen aus der Mitte heraus und trank das Bier über den Henkel. Wütend darüber, daß seine Schliche erkannt waren, rief der Wassermann: „Martka, stich zu!„ Martka aber tat dem Burschen kein Leid, weil sie ihn liebte. So konnte er schnell entfliehen. Der Wassermann ließ große Wellen hinter ihm herbrausen. Aber das Wasser konnte ihm nichts anhaben, sondern stand zu beiden Seiten wie eine Mauer, denn die Sumpfschafgarbe schützte ihn. So kam der neugierige Knecht glücklich nach Hause.

Quelle: Erich Krawc, „Sagen der Lausitz“, Domowina Verlag 1962;