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Sage des Monats Januar 2024

Die Sage von den Hahnebergen

An einem schönen Maienmorgen befand sich ein Schmiedegesell, der lange auf Wanderschaft gewesen war, auf dem Heimweg zu seinen Eltern. Die Sonne lachte vom blauen Himmel, und sein Herz war voll freudiger Erwartung, als er hinter Luppa die langgestreckten Höhen der Hahneberge erblickte. Hinter ihnen lag ja sein Heimatort Hermsdorf; seine alten Eltern würden ihn sicher bald froh begrüßen! „Hahneberge“, sann er vor sich hin, „ob wohl noch immer so viele bunte Hähne hier wohnen wie vor Jahren, als ich auf meinem Weg in die Fremde vorbeikam?„ Und achtsam schaute er zwischen die kleinen Kiefern und Birken, aber nur selten erblickte er einen der seltsamen Vögel. Stille und Einsamkeit waren überall.

Plötzlich erschrak der Schmied. Vor ihm senkte sich der Weg und führte geradewegs durch ein großes, geöffnetes Tor in den Berg hinein. Er getraute sich nicht weiter. Da gewahrte er neben dem Tor ein altes, graues Männlein, das ihm winkte, näher zu kommen. Zögernd trat der Schmied heran. Das Männlein bedeutete ihm, daß er sich nicht zu fürchten brauche, und fragte ihn, ob er etwa von Beruf Schmied sei. Als der Bursche bejahte, bat ihn der Alte, ihm doch einen Dienst zu erweisen, bevor er heimkehre; es solle gut gelohnt werden. Der Schmied war dazu bereit und schritt durch das Tor in den Berg. Hier war es wie in einem riesigen gewölbten Saal, und eine geheimnisvolle Helligkeit herrschte, obwohl keine Fenster zu erkennen waren.

Auf der linken Seite stand eine große Schar bewaffneter Soldaten in schwarzen Uniformen. Dreispitzige Hüte dienten ihnen als Kopfbedeckung. Mit beiden Händen hielten sie altertümliche Lanzen umfaßt und schliefen stehend mit geneigtem Haupte. Lange Bärte waren ihnen bis zur Erde hinabgewachsen. Zur rechten Seite stand ein Regiment Reiter in roten Rüstungen und Ritterhelmen und mit Schwertern gegürtet. Sie saßen auf schwarzen Pferden und schliefen ebenfalls geneigten Hauptes. Auch ihnen waren lange Bärte gewachsen.

Das graue Männlein deutete auf die Reiter und sagte: „Beschlage ihre Pferde! Wenn du deine Sache gut machst, erhältst du für jeden Huf einen Groschen, Da liegen die Eisen, und das Werkzeug bringe ich dir sogleich.“ Als der Graubart mit dem Werkzeug zurückkehrte, schloß sich das Tor der Höhle mit Getöse. Für den Schmied versank die Welt. Er erschrak sehr, aber das Männlein tröstete ihn: „Du brauchst keine Angst zu haben; dir geschieht nichts. Beginne zu arbeiten, damit du recht bald fertig wirst! Nur eines rate ich dir: Berühre keinen der Reiter. Denn berührst du einen, so mußt du sieben Zeiten hier bleiben; berührst du zwei, mußt du in sieben Zeiten sterben, berührst du aber gar drei, verlierst du sofort dein Leben und mußt für immer bei uns bleiben. Darum hüte dich!“

Der Schmied ging an seine Arbeit und achtete wohl darauf, daß er keinen Reiter berührte. Er beeilte sich und war bald mit der ersten Reihe fertig. Auch das erste Pferd in der zweiten Reihe war schon beschlagen. Doch war es hier etwas eng, und unversehens stieß er einen der Reiter ans Bein. Das graue Männlein stöhnte, während der Reiter erwachte und fragte: „Ist es nun Zeit?“

„Nein*, sagte der Graubart, „noch nicht! Neige dich und schlafe!„ Der Reiter aber seufzte und klagte: „Wie lange, ach wie endlos lange muß ich noch hier bleiben? Sind den die zehn langen Zeiten noch immer nicht vorüber?“ Darauf neigte er wieder sein Haupt und schlief ein, Der Graubart aber schalt den Schmied:,„Das tu nicht wieder!'“ Der arbeitete von nun an noch vorsichtiger und freute sich, als er endlich fertig war, ohne nochmals einen der Schlafenden berührt zu haben. Die Zeit war wie im Fluge dahingeeilt, und er hatte den Eindruck, daß kaum sieben Stunden vergangen sein könnten.

Das Graumännlein schaffte das Werkzeug weg und kehrte mit dem Lohn zurück. Für jedes Hufeisen einen Groschen, das ergab ein ganzes Säckchen voll! Der Schmied aber dachte bei sich: „Wenn ich nur schon aus dem Berge heraus wäre!„ Der Alte führte ihn wieder zum Eingang der Höhle, lobte seine Arbeit und fragte schließlich: „Sage mir doch, ob die dunklen Vögel mit den roten Ohrflecken noch draußen um den Berg fliegen?“ Der Schmied antwortete: „Ja, die sieht man hier noch.„ Da klagte das Männlein: „Oh, da muß ich noch lange hier verbleiben, denn eher darf ich nicht fort, als diese Vögel verschwunden sein werden.“ Darauf verabschiedete es sich, die Höhle öffnete sich, und der Schmied trat wieder in den sonnigen Tag. Das Tor schlug zu, und an seiner Stelle dehnte sich eine Sandgrube. Als der Bursche sich dem rechten Weg zuwandte, wunderte er sich, daß die Kiefern plötzlich fast acht Ellen hoch waren; hatten sie ihm doch, als er in den Berg ging, kaum bis zu den Knien gereicht! Er zählte den Jahreswuchs und fand sieben neue Astquirle! Sieben Jahre war er also im Berg gewesen, und die Worte des Männleins waren in Erfüllung gegangen, daß er sieben Zeiten dort bleiben mußte, nachdem er einen der Reiter berührt hatte.

Er eilte nach Hause. Doch im Dorfe flüchteten die Kinder erschreckt vor ihm - einen so langen, furchterregenden Bart hatte er. Im Elternhause fand er fremde Menschen vor. „Was, du bist der Schmiede-Handrij?“ fragten sie verwundert. „Deine Eltern sind vor vier Jahren aus Gram gestorben, und wir haben das Haus dann gepachtet.“ Da ging er zum Bürgermeister, erhielt sein Haus zurück, und bald feierte er mit Nachbars Hanka Hochzeit und lebte lange mit ihr zusammen.

Quelle: Erich Krawc, „Sagen der Lausitz“, Domowina Verlag 1962;