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Der Schatz im Löbauer Berg

Einst war eine junge Frau noch am Abend auf den Löbauer Berg gegangen, um dort im Walde Beeren zu suchen, und hatte ihr Söhnchen mitgenommen. Als es dunkel wurde, konnte sie den rechten Weg nach Hause nicht mehr finden und verirrte sich im Walde, Die Zeit verging, und Mitternacht war schon vorüber. Plötzlich erblickte die Frau zwischen zwei Felsblöcken ein großes, weit geöffnetes Tor, das in den Berg hineinführte. Sie trat hindurch und befand sich in einer großen Höhle. In der Mitte glänzte ein goldener Tisch, an den Wänden aber standen viele Ritter. Die hielten ihr Haupt geneigt und schliefen. Jetzt aber erwachten sie, und einer trat zu der Frau und fragte: „Schenken sich die Sorben noch immer frischbackene Brote?“ Furchtlos antwortete sie: „O ja.* Der Alte fragte weiter: „Fliegen in der Lausitz noch immer die keckernden Vögel mit den langen Schwänzen?„ Damit konnten wohl die Elstern gemeint sein, und so sagte sie: „Ja, ja, davon gibt es noch genug. Darauf neigte der Alte sein Haupt und sprach: „Dann ist unsere Zeit noch nicht gekommen“ und ging wieder an seinen Platz.

Nachdem er der jungen Frau noch erlaubt hatte, sich von den Schätzen zu nehmen, soviel sie möge, schlief er wieder ein. Sie ließ sich nicht nötigen, setzte ihr Söhnchen auf den goldenen Tisch, raffte die Schürze voller Goldstücke und eilte hinaus, um nachher das Kind zu holen. Aber kaum stand sie vor dem Tor, schlug die Turmuhr in Löbau eins, und das Tor fiel mit Donnergepolter zu. Der Knabe aber saß noch auf dem goldenen Tisch in der Höhle. Ohnmächtig sank die Frau zu Boden. Als sie wieder zu sich kam, weinte sie, rang die Hände und betete zu Gott um ihr Kind. Umsonst! Der Fels stand starr und kalt im bleichen Mondlicht. Nun war die Freude an Gold und Silber dahin. Als sie am Morgen wieder heimgefunden hatte, suchte sie Rat bei klugen Männern und wo immer sie Hilfe erhoffen durfte - doch niemand konnte ihr den Sohn zurückbringen. Schließlich riet ihr ein alter Mann, übers Jahr zur gleichen Stunde noch einmal zum Berg zu gehen und zu warten, ob sich das Tor wieder öffnen würde.

Endlos lang erschien ihr dieses Jahr. Schließlich nahte die ersehnte Stunde. Die Frau stand vor dem Felsen. In Löbau schlug die Turmuhr Mitternacht. Der Felsen teilte sich, und wieder lockte das Glänzen in der geheimnisvollen Höhle. Die Frau aber schaute nicht auf die glitzernden Steine und das gleißende Gold, sie suchte nur ihr Kind. Dort auf dem Tisch saß es noch und spielte. Flugs eilte sie hin, ergriff den Knaben und lief schnurstracks hinaus, zurück ins Leben. Nie wieder wollte sie etwas von dem Schatz in der Höhle wissen.

Quelle: Erich Krawc, „Sagen der Lausitz“, Domowina Verlag 1962;