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Das Aschenweib zu Zittau

In der Neujahrsnacht des Jahres 1756 und um die Mitternachtsstunde der folgenden Tage sahen einige Zittauer Bürger eine verkrüppelte, verrunzelte alte Frau vor der Johanniskirche und auf vielen Straßen mit einem Besen eifrig den gerade gefallenen Schnee]] zusammenkehren. Manche faßten sich ein Herz und fragten sie, was sie da mache und wer sie sei, und sie antwortete: „Ich bin das Aschenweib der Stadt und kehre die Asche zusammen, wo überall sie liegt, ich habe noch lange zu tun, denn sie liegt berghoch und auf allen Gassen, doch hier vor der Johanniskirche liegt am meisten.„

Da sich diese Erscheinung täglich wiederholte und die ganze Stadt in Schrecken geriet, beschloß der hochedle Rat, der Sache ein Ende zu machen und die Landstreicherin, denn dafür hielt man sie, einzufangen. Die Stadtsoldaten, mehrere Ratsherren an der Spitze, lauerten ihr eines Nachts auf. Sie erschien wie gewöhnlich, man rief sie an, allein sie ließ sich bei ihrem Kehren durchaus nicht stören, und als man sie zu ergreifen versuchte, zerfloß ihre Gestalt. Sie kehrte aber in den nächsten Nächten nach wie vor, doch wagte sich niemand mehr an sie, und so konnte man sie jede Nacht eifrig fegen sehen, bis am 23. Juli des Jahres 1757 die mit der Sachsen verbündeten Kaiserlichen die von einigen hundert Preußen besetzte Stadt beschossen und zum größten Teil in Asche legten. Eines der ersten Geschosse schlug in die Johanniskirche und zündete, und überall, wo das graue Mütterchen sie früher hatte sehen lassen, waren glühende Kugeln gefallen und hatten die Gebäude in Brand gesteckt. Während des Brandes aber sah man eine Gestalt über die rauchenden Trümmer schweben und mit einem Besen Wolken von Asche vor sich herfegen. Nun begriff man die warnende Erscheinung, aber leider zu spät.

Seitdem schwebt das Aschenweib in der Silvesternacht und am Vorabend des 22. Juli, des Brandtages, wie ehedem fegend durch die Straßen der Stadt und mahnt dadurch alle leichtfertigen Bürger: „Seid wachsam und hütet euch, daß das Unglück nicht noch einmal unerwartet über euch komme und euch ganz vernichte!“

Quelle: Erich Krawc, „Sagen der Lausitz“, Domowina Verlag 1962;