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In der Domkirche zu Lübeck

Bei den Lübeckern soll sich in der Domkirche vormals zugetragen haben, was folgt. Wenn auf eines Kanonikus Pult im Chor des Nachts eine Rose gelegt, und früh Morgens gefunden worden, so hat man, ohne einigen Zweifel, daraus geschlossen, daß solchem Domherrn der Tod bald bevorstände. Man fügt hinzu: es habe sich begeben, daß, als einer unter selbigen Domherren, Namens Rabundus, eine solche Rose, welche ihm seine Sterbestunde anzeigte, auf seinem Palte angetroffen, er dieselbe davon weggeräumt und auf eines andern, seines Kollegen, Chorpult gelegt, nichts desto weniger aber dennoch, unlange darnach, der Natur die Schuld bezahlt habe. Man sagt auch daselbst: dieser Rabundus errege auch noch heut im Chor mit Klopfen einen Tumult, so oft das letzte Lebensziel eines Domherrn herbeinahet, und sagt man des Orts im Sprichwort: Rabundus hat sich gerührt, darum wird ein Domherr sterben.

Nach einigen soll Rabundus gesagt haben: er wolle nun, da es mit der Rose trüglich gewesen sei, dreimal klopfen. Dies Klopfen sind eigentlich drei erschreckliche Schläge unter seinem, im Chor befindlichen, sehr langen, großen und breiten Grabsteine, die nicht viel gelinder krachen, als ob das Wetter einschlüge, oder dreimal ein Kartaunenschuß geschähe. Und wenn der dritte Streich geschieht, läuft oder fleugt der Knall über dem Gewölbe, die ganze Kirche nach der Länge durch, mit so starkem Krachen, daß man denken sollte, das Gewölbe wird ein und die Kirche über den Haufen fallen, wiewohl es einmal stärker kracht, als das andere.

Quelle: Johann Gustav Gottlieb Büsching: Volkssagen, Märchen und Legenden, Leipzig, Reclam, 1812,