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Das Ostritzer Rathhaus und die tapfern Klosterjungfrauen

  Funke's Chronik von Görlitz a. a. 1368. 
  Mehrere andere Görlitzer Jahrbücher. Joh. Gubin. chron. 
  Preußfer I. 133.

Im Jahre 1368 kamen die Einwohner von Ostritz, das damals noch sehr klein war, auf den Gedanken, sie wollten eine große Stadt werden, wie die benachbarten Sechsstädte Görlitz und Zittau. Sie fingen damit an, eigenes Bier zu brauen und in der Gegend zu verkaufen, wodurch sie der Stadt Zittau, zu deren Weichbilde Ostritz gehörte, großen Schaden thaten. Aber sie wurden immer übermüthiger und beschlossen, steinerne Mauern und Thore zu bauen, und thaten es auch.

Als sie aber auch ein steinernes Rathhaus auf ihrem Marktplatze errichteten, da riß den Sechsstädten die Geduld und sie zogen aus von Zittau und Görlitz, „wohl hundert Wagen voll mit wohlgeharnischten Leuten und Zimmerleuten und Maurern“, drangen in die Stadt, um die Mauern einzureißen, denn sie sagten, es möchten sich etwan Landesbeschädiger und ritterliches Räubervolk in den steinernen Mauern einnisten.

Als sie aber vor das neuererbaute Rathhaus kamen, da stand vor der Thüre die Aebtissin des Klosters (Marienthal, dem damals schon Ostritz von dem Grafen v. Dohna verkauft war) und alle Klosterjungfrauen und hielten das Haus besetzt, es zu vertheidigen. Doch die Sechsstädter fürchteten sich nicht vor den Weiberröcken, und so viel sich die Aebtissin sammt ihren Nonnen sträubten, sie drangen ein und machten Rathhaus und Mauern dem Boden gleich.

Die tapfern Nonnen wandten sich an den Kaiser (Karl IV.), aber es half ihnen nichts. Nur mußten die aus Versehen ebenfalls mit abgebrochenen Fleischbänke von den Sechsstädten wieder aufgebaut werden.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862