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Der Mordgrund bei Lissa

  Sammlung von Schön No. 37. Msc. 
  Görl. Wegweiser 1833 S. 401.

Zwischen den Dörfern Lissa und Penzig, an der alten Straße von Görlitz nach Sagan, ist eine tiefe Schlucht gelegen, über die heutzutage ein hölzerner Steg hinweg führt. Sie hat seit vielen Jahrhunderten bis auf den heutigen Tag den schrecklichen Namen der Mordgrund. Die ganze Gegend macht mit ihren kahlen Hügeln einen unheimlichen Eindruck und bis auf diese Stunde fürchtet sich Mancher, diesen Weg zu gehen. Dort stand nämlich vor langer, langer Zeit eine einsame Schenke, dessen Wirth der sogenannte Langenhans, ein finsterer, allgemein gefürchteter Gesell, manchen harmlosen Wanderer, der etwa bei ihm Nachtherberge nahm, im Schlafe ermordete und beraubte und die Leichname im Grunde verscharrte. Jahrelang hatte er sein schändliches Gewerbe ungestört fortgeseßt, als einst ein beherztes Bauermädchen aus Penzig bei Nacht vorüber kam und durch ein klägliches Gewinsel aufmerksam gemacht, sich leise dem Hause näherte. Da sah sie denn mit Entsetzen, wie Langenhans mit Hülfe seines Knechts einen blutigen Leichnam zur Thür hinaus schleifte und in den Keller versenkte.

Als der Herr von Lissa, Georg Emmerich, Kunde von dieser Entdeckung bekam, wurde der Mörder gefangen genommen, gestand viele Mordthaten, kam aber dem Arme der Gerechtigkeit zuvor, indem er sich im Gefängniß selbst entleibte. Sein Knecht Nicol Nübiger hatte sich durch die Flucht gerettet, das Haus aber wurde, nachdem man einige noch vorgefundene Leichname in geweihter Erde begraben, der Erde gleich gemacht. Diese Geschichte foll sich um Martini des Jahres 1494 ereignet haben.

Eine andere Sage berichtet, der Mordgrund habe seinen Namen durch die Wegelagereien der Herren zu Penzig und Sohra bekommen, welche in der That zu den wildesten Raubrittern der Görlitzer Gegend gehört haben.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862