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König Ziscibor, der Kinderräuber im Spreewalde

Ziscibor war nunmehr Befehlshaber über die Schlösser auf der Landeskrone und dem Limasberge. Wie lange er es blieb, wissen wir nicht, denn die oberLausitzer Sage erzählt uns weiter nichts mehr von ihm, als daß er, aber schon vor diesen Kämpfen mit den Deutschen, im Jahre 956, einmal viele Tausend runde Steine zurichten und auf die Landeskrone schaffen ließ, um seinen Feind, den Hannen, damit zu bewillkommnen, wenn er ihn belagerte. Nach der niederLausitzer Sage aber ward er König der niederLausitzer Wenden und hatte seinen Sitz auf dem Schloßberge bei Burg. Ob er seinem Freunde und Kampfgenossen Crescentius nachgezogen sei und nach dessen Tode die Regierung übernommen habe, wissen wir freilich nicht, denn darüber schweigt die Sage. Sie meldet uns nur, daß er dort ein grausames Regiment führte. Er ließ die Deutschen, die in seine Hände fielen, nackend ausziehen, aus ihrem Rückenfleische Riemen schneiden und die so Gemißhandelten laufen, um seinen Feinden Furcht und Schrecken einzujagen. Die gefangenen Frauen schickte er mit abgeschnittenen Brüsten wieder heim. Schöne Christenkinder ließ er rauben und in der heidnischen Religion auferziehen.

Denn noch nicht ganz vier Stunden entfernt, lag schon damals das erste christliche Dorf mit Namen Drenow. Es streckte sich lang hin an der Malpa, einem Nebenflüßchen der Spree, und seine letzten Wiesen und Felder grenzten an die Gegend, wo die Landleute wieder anfangen mit Wagen zu fahren, während sie im Spreewalde nur auf Kähnen zueinander kommen können. Auch die Einwohner von Drenow, welche sich zum Theil mit Fischerei ernährten, hatten drei Kähne. Der größte hieß Hecht und wurde zur Fischerei gebraucht, der schmälste hieß Schwalbe und war zur geschwinden Fahrt in den Spreewald bestimmt, der breiteste hieß Bienenkorb und auf ihm wurden Holz, Gras und Getreide herbeigeführt. Die Bilder, wovon die drei Kähne ihre Namen hatten, waren an dem Vordertheile zierlich geschnitzt zu sehen.

In dem Dorfe, dort wo später Bruchatzens Nahrung war, wohnte ein ehrlicher Förster mit seiner Familie und der hatte zwei wunderschöne Kinder, einen Knaben und ein Mädchen. Als diese einst der Wendenkönig erblickte, liebte er sie und beschloß sogleich, sie zu rauben, um sie an Kindesstatt anzunehmen; denn die Königin war unfruchtbar und hatte ihm nie weder einen Sohn noch eine Tochter geboren und er sah mit sich sein Geschlecht aussterben, worüber er sehr unmuthig war. Deshalb wollte er sich wenigstens in einem Pflegekinde einen Nachfolger erziehen. Kaum in seine Königsburg zurückgekommen, gab er einigen seiner Diener Befehl, seinen Willen zu vollbringen und die Kinder heimlich ihren Eltern zu entführen. Diese schlichen sich auf einem Kahne nahe an das Dorf, und nachdem sie einige Tage und Nächte gelauert, zeigte sich eine günstige Gelegenheit. Es war ein sehr heißer Tag und die Kinder kamen an die Malpa, um sich darin zu baden.

Kaum aber waren sie im Wasser, so wurden sie von den bösen Männern ergriffen und in Säcke gesteckt und fort ging es mit ihnen mitten in den Spreewald hinein. Doch ein Knabe, der hoch auf einer Erle gesessen, um ein Elsternest auszunehmen, hatte Alles mit angesehen und lief so viel er konnte und sagte es der Mutter an, daß ihre Kinder geraubt wären; der Förster aber war nicht daheim, sondern im Walde. Die liebende Mutter besann sich nicht lange. Schnell band sie die Schwalbe los, das schnellsegelnde Fahrzeug, und ruderte mit allen Kräften den Räubern nach. Diese hatten aber schon einen großen Vorsprung gewonnen und befanden sich bereits mitten im Spreewalde auf einer Wiese. Dort hatten sie, todtmüde von der Anstrengung der flüchtigen Fahrt und den Nachtwachen, sich in's hohe Gras gelegt und waren fest eingeschlafen, neben sich die armen Kinder in den Säcken. Da fliegt der Kahn der geängsteten Mutter heran: von Weitem schon erspäht ihr geschärftes Auge die schlafende Gruppe, behutsam führt sie das Ruder, daß kein Plätschern sie verrathe, leise steigt sie aus, leise schleicht sie heran, leise flüstert sie den lieben Kleinen zu: „Still! rührt euch nicht! es ist eure Mutter“, nimmt unter jeden Arm ein Kind und dahin fliegt die Schwalbe mit der süßen Last, zur Eile getrieben von dem Ruderschlage der entzückten Mutter.

Die Kinder waren gerettet und zu Hause geborgen, ehe es die Räuber merkten und ehe noch das Gewitter losbrach, das schon den ganzen Tag gedroht hatte. Und das war ein schweres Gewitter; seit Menschengedenken hatte ein solches nicht im Spreewalde getobt. Furchtbar raste der Sturm, rollte der Donner, zuckten die Blitze. Sie verschonten das glückliche Försterhaus, aber in das Schloß des finstern Wendenkönigs fuhr ein Wetterstrahl herab und schlug den Grausamen zu Boden, daß er nicht mehr aufstand. So endete Ziscibor, der Erbauer der beiden Schlösser auf der Landeskrone, in seinem Schlosse zu Burg im Spreewalde.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862