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Der Koberprinz in der Görlitzer Haide

  Funke, Görlitzer Annalen a. a. 1243. 
  Barth. Scult. Chron. Gorl. a. a. 1243 
  Tom.XV. Sing. Lus. XVII., 327. 
  Großer, Schulprogr. 2. I. 1714. 
  Pilz, Umgangszettel 1799 u. 1800. 
  Görl. Wegweiser 1833 S. 705 (verballhornt).

Im Jahre 1243, den 13. Mai, kamen zu Schweidnitz in Schlesien viele Fürsten und Herren zusammen. Da gings hoch her und es ward lustig gelebt, aber auch manches Ernsthafte verhandelt. König Wenzeslaus I. Ottokar, genannt der Fromme, hatte auch sein Söhnlein, den jungen Herzog Boleslaus, mitgebracht. Der war erst fünfzehn Jahr alt. Herzog Boleslaus zu Schweidnitz aber hatte ein feines Töchterlein, Namens Elisabeth. Das war erst zwölf Jahr alt. Diese beiden jungen Fürstenkinder wurden in aller Fürsten Gegenwart ehelich versprochen, das eheliche Beilager aber wegen der großen Jugend der Kinder auf fünf Jahre verschoben.

König Wenzel reiste ab, aber der junge Herzog blieb am Hofe zu Schweidnitz, um die deutsche Sprache zu erlernen. Man gab ihm einen Hofmeister, einen gelehrten und wohlanständigen Mann, der viele Länder gesehen und gute Sitten kannte, Namens Melchior Staude, einen gebornen Görlitzer. Dieser Lehrer hat die beiden Kinder zugleich unterrichtet. Aber noch öfter kamen sie heimlich zusammen, faßten eine heftige und brünstige Liebe zu einander und - bestimmt waren sie doch einmal für einander und halb aus kindischer Neugier, wie es wohl später sein möge im lieben Ehestande, halb aber wohl aus erwachender Liebesbrunst verbanden sie sich heimlich und spielten Mann und Frau. Bald aber stellte sich die Angst vor Entdeckung ihrer heimlichen Liebe ein, da baten sie die Aeltern, man möge sie mit ihrem Hofmeister nach seiner Heimath auf Reisen senden. Und so geschah es, ohne daß Jemand Verdacht geschöpft hatte. Unterwegs aber beschließen sie, ihrem Hofmeister zu entfliehen, nehmen Geld und Sachen mit und wandern zu Fuß in den Wald. So kommen sie in die Görlitzer Haide zu einer armen Häuslersfrau im Walde. Dort nehmen sie Wohnung und schicken die Frau mit Gelde in die Stadt, um Sachen zu kaufen. Da kommt der Prinzessin Stunde und der liebe Gott beschert ihr ein frisches Knäblein.

Desselben Tages aber waren drei vornehme Bürger aus Görlitz in die Haide gefahren um Holz zu kaufen, hatten die Pferde ausgespannt und neben dem Wagen im Grase weiden lassen. Im Wagen aber hatten sie einen großen Kober (Korb) mit kalter Küche zum Frühstück. Was macht der junge Vater? Er nimmt sein Kindlein in den Arm, wickelt es in feine Leinewand, trägt es an den Wagen und legt es in den Korb. Unterdeß waren die Görlitzer mit ihrem Handel fertig geworden, kamen zum Wagen zurück, setzten sich in's Gras und holen den Korb herab, um zu frühstücken. Aber welches Erstaunen, als ihnen statt des Brodes und Bratens ein neugebornes Knäblein zum Frühstück beschert wurde. Lange berieth man, was mit dem Findling zu thun sei. Da erbot sich der Tuchmacher Balthasar Oelsner, der ein frommer, ehrbarer Mann gewesen, aber in seiner Ehe keine Kinder gehabt hat, den Kleinen zu sich zu nehmen. Frau Oelsnerin machte anfangs ein saures Gesicht, als der Herr Gemahl mit einem Kinde im Arme in's Haus trat, denn sie hatte ihn in Verdacht, er wisse nur zu wohl, woher es stamme; aber bald gewann sie das Kind so lieb, als wenn es ihr eigenes wäre. Sie nannten den Knaben Friedrich und erzogen ihn in aller Gottesfurcht wie ein ehrlich Bürgerkind, und der Knabe zeigte bald einen edlen Sinn und hohen Muth.

So verrieth sich bald das fürstliche Geblüt. Es vergingen neun Jahre. Herzog Boleslaus hatte unterdeß zu Brandeis mit seiner Gemahlin feierlich und öffentlich Beilager gehalten und diese ihm einen zweiten Sohn geboren, der in der Taufe den Namen Primislaus erhielt. Aber ihres ersten Kindes hatten sie nicht vergessen und dachten seiner oft mit heimlichem Schmerz und bitterer Reue. Endlich machen sie sich auf, reisen nach Görlitz und werden dort bei Balthasar Oelsner, der in jenem Jahre gerade Bürgermeister gewesen, ehrenvoll empfangen und bewirthet. Als sie aber das Kind sahen und seine Geschichte hörten, fingen sie beide an laut zu weinen vor Freude und Rührung. Da war großer Jubel im Oelsner'schen Hause und die ganze Stadt erfuhr es und freuete sich mit ihnen. Das Oelsner'sche Ehepaar erhielt später etliche Tausend Goldgülden zu Landgütern, und als Herr Balthasar starb, hat die Wittwe nochmals geheirathet und ist nach Brandeis in Böhmen gezogen.

Papst Clemens IV. hat mit Ernst befohlen, dieses gefundene fürstliche Kind als fürstlich und ehelich zu halten, weil dessen Aeltern vor Gott allbereits ehelich gewesen. König Ottokar aber hat zur ewigen Erinnerung an diese Begebenheit die Stadt Görlitz und insonderheit die dasige Tuchmacherinnung mit außerordentlichen und wichtigen Privilegien begabt, so daß sie Bier brauen durften ohne jegliches Gefälle, Mehl mahlen ohne allen Zins und Handel treiben ohne Mauth, und jedem Görlitzer Tuchmacher erlaubt war, allezeit so viel Holz aus der Haide zu holen, als er bedürfen würde, wie in vielen alten Büchern ausführlich zu lesen ist. Daher stammt denn auch der große Reichthum der Görlitzer Tuchmacherzunft.

Das ist die Geschichte vom Koberprinzen und seiner Erziehung durch einen Görlitzer Tuchmacher, wie sie auch anno 1714, den 24. und 26. Januar, unter Leitung des berühmten Rektors Großer im Görlitzer Gymnasium von den Scholaren als Schauspiel aufgeführt worden ist.

Anmerkungen:

1. Die vermeinte Aventure des in der Görlitzer Haide gefundenen Prinzen, in vier Akten. Die spielenden Personen, alles Gymnasiasten, werden im Programm benannt und es treten ihrer 36 auf. Auch die weiblichen Rollen wurden von Schülern gegeben.

2. Diese seltsame Sage beruht, wie schon Brüdner (l. c.) nachgewiesen hat, auf gar keiner geschichtlichen Grundlage. Trotzdem ist sie nicht, wie man bisher allgemein angenommenhat, eine bloße Erfindung, sondern vielmehr nur die geschmacklose, von städtisch-zünftiger Eitelkeit ziemlich plump ausgemalte Umdichtung eines uralten und überaus zarten Sagenstoffes. Die heimliche und verbotene Liebe zweier vornehm geborener Kinder begegnet uns schon in dem zum Sagenkreise von Kaiser Karl dem Großen gehörigen Epos Floß und Blankfloß, bearbeitet von dem mittelhochdeutschen Dichter Konrad Flecke. Was mich zu dieser Hypothese bestimmt, ist hauptsächlich der Korb, der sogar unserer Sage den Namen giebt. Er spielt auch in jenem Gedichte aus dem 13. Jahrhunderte eine große Rolle und zwar ebenfalls die eines Schmugglers, wenn auch in anderer Weise. In anderer Variation wiederholt sich die Sage in dem von Pfeiffer herausgegebenen altdeutschen Gedichte Mai und Beaflor.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862