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Der Klötzelmönch zu Görlitz

  Mündlich. 
  Samml. d. Bresl. Lusatia No. 4, 
  Görl. Wegweiser 1832 S. 106, 
  O. u. N. L. Chron. S. 95.

In der Fleischergasse zu Görlitz gewahrt man an dem Hause der neuen Apotheke das in Stein gehauene Bild einer Frau, welche gleichsam aus der Mauer herausschaut wie aus einem Fenster. Das Antlitz hat einen traurigen und sehnsüchtigen Ausdruck. An derselben Hauswand schaut eben falls aus der Mauer das scheußlich dargestellte Gesicht eines Mönches, welcher nach der sehnsüchtigen Frau gegenüber zu sehen scheint. Beide Bilder haben eine traurige Bedeutung.

Eines Tages wanderte ein munterer Handwerksbursche frohes Muthes in die alte Sechsstadt Görlitz ein. Als er bei der offenen Klosterkirche vor beikam, wurde eben das Minoritenglöcklein geläutet, das die Frommen zur Abendmette rief. Da trieb es ihn an in die Kirche einzutreten, denn es war ein fromm Gemüth. In einer Ecke der Kirche legte er sein Ränzlein ab, kniete nieder und fing an andächtig zu beten. Er mochte wohl weit her gekommen sein, denn es überfiel ihn bald eine solche Müdigkeit, daß er den Kopf auf eine Bank lehnte und so, halb knieend, halb liegend, in einen sanften Schlummer fiel. Der Gesang der Chorknaben war verstummt, die Orgel schwieg, das Missa est des Priesters war gesprochen und die Andächtigen verließen allgemach die Kirche, aber der Bursche erwachte nicht. Der Pförtner nahm die Geräthe vom Altare, schloß die Thüre, aber der Ermüdete schlief ruhig weiter.

Jetzt, als die Mitternacht herankam, erwachte er. Mit Schrecken sieht er sich allein in der großen Kirche. Schaubernd erhebt er sich. Alles ist finster und stumm. Nur am Altare brennt das ewige Lämpchen. Er nähert sich dem Lichte und, sich in seinem schwachen Schimmer gleichsam für sicherer haltend, versucht er es von Neuem einzuschlafen. Allein das bange Gefühl, so mutterseelenallein zu sein zwischen den Chorstühlen und Grabmälern läßt ihn zu keinem ordentlichen Schlafe kommen. Plötzlich schreckt er zusammen, denn von fern her nähert sich ein Geräusch wie von schweren schleifenden Tritten. Es kommt ihm immer näher und bebend vor Angst verbirgt sich der Erschrockene in einem der großen gothischen Chorstühle des Altarplatzes. Da klirren Schlüssel und ihm gegenüber thut sich die eiserne Thüre auf, die die Kirche mit dem Kloster verbindet.

Eine Mönchsgestalt erscheint im Glanze einer Blendlaterne, schrecklich verzerrte Züge verrathend. Der Mönch schreitet mit seinen schweren Holzpantoffeln langsam die Stufen herab und jezt erst gewahrt der Bursche, und das Blut erstarrt in seinen Adern, daß der Mönch einen Leichnam an langen blonden Locken hinter sich herschleppt. Der Mönch nähert sich dem Altare, arbeitet eine steinerne Platte aus dem Fußboden heraus und läßt den Leichnam, dessen schöne jugendliche Züge noch einmal von der Laterne beleuchtet werden, mit einem dumpfen Geräusche in eine dort verborgene Höhlung fallen. Dann deckt er schleunig die Gruft wieder zu und entfernt sich, wie er gekommen.

In grausiger Todesangst verbrachte der Bursche den Rest der Nacht und dankte Gott, als die Morgenglocke zu seinen Häupten ertönte und der Pförtner die Thüre zur Frühmesse aufschloß. Von Niemand gesehen, schlich er aus der Kirche und fing an beim hellen Tagesscheine sich zu überreden, daß alles nur ein schrecklicher Traum gewesen sei. Auf der Herberge angegekommen, ist das erste, was er hört, wie am gestrigen Tage die Tochter einer armen Wittwe, eines der schönsten und frommsten Mädchen der Stadt, spurlos verschwunden sei. Zuletzt hätte man sie in der Messe gesehen.

Da ging ihm auf einmal ein Licht auf über die schreckliche Wirklichkeit dessen, was er für einen Traum gehalten hatte. Er ging sogleich zum Bürgermeister und entdeckte ihm, was er gesehen. Augenblicklich wird das Kloster umstellt, der Altarplatz untersucht, der Leichnam gefunden. Der Handwerksbursche erkannte unter den Mönchen, die ihm vorgeführt wurden und alle ihre Unschuld beschworen hatten, auf der Stelle das Antlitz des Verbrechers. Da gestand derselbe endlich ein, Raub, Gewaltthat und Mord an der Jungfrau verübt zu haben und ward lebendig eingemauert.

Aber seine Seele hatte keine Ruhe. Sowohl im Kloster, als in den dazu gehörigen Gebäuden hörte man oft in der Mitternachtstunde den schleppenden Ton seiner Klötzelpantoffeln. Der Klötzelmönch spukt wieder einmal, hieß es da.

Noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts erschreckte seine Erscheinung in schwarzer Kutte mit der Blendlaterne und den Klötzelpantoffeln einen in den finstern Kreuzgängen verirrten Baderlehrling so gewaltig, daß er Tags darauf gestorben ist. Vor etwa fünfzig Jahren, als man das zu den „drei Eichen“ gehörige, mit dem Kloster verbundene Gebäude niederriß, fand man seine eingemauerten Gebeine und begrub sie in geweihter Erde, und seitdem hat das Gespenst Ruhe. Das Bild des Mönches aber und das der sehnsüchtig ausschauenden Mutter ließ ein ehrlicher Bürger von Görlitz zum ewigen Andenken an dieses Ereigniß an dem erwähnten Hause, wo die Mutter gewohnt hatte, anbringen.

Anmerkungen: Das Minoriten-Kloster, welches nach der Reformation zu einem Gymnasium eingerichtet wurde, steht nicht mehr. Es ist im Jahre 1853 eingerissen und an der Stelle desselben das neue Schulhaus gebaut worden. Von diesem Kloster aus führt der Sage nach ein unterirdischer Gang bis nach der Landeskrone. Es sollen einmal drei Schüler hineingedrungen sein. Sie gingen eine Viertelstunde weit, kamen aber dann an eine eiserne Thüre, die sie nicht zu öffnen vermochten. Auf dem Rückwege geriethen sie in des Rektors Weinfeller und betranken sich dermaßen, daß sie den Eingang viele Stunden lang vergeblich suchten. Aber dieser Streich kam heraus, die Schüler wurden streng bestraft und der Eingang wurde zugemauert.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862