<<< vorherige Sage | Dritte Abtheilung: Ortssagen | nächste Sage >>>

Der Mann mit dem Kruge zu Görlitz

  Mündlich. 
  Samml. von Schön No. 72. msc.

Wenn man über die Neißbrücke nach Görlitz kommt und in die Neißgasse hinaufgeht, sieht man an der Ecke des einen Hauses, zwischen dem zweiten und dritten Stocke, zwei Männer abgebildet, die einen großen Wasserkrug in der Hand halten. Dieses Bild ist ein Erinnerungszeichen an eine hohe Wasserfluth. Vor alten Zeiten war nämlich einmal im Gebirge ein Wolkenbruch gefallen und die Neiße so weit ausgetreten, daß sie dazumal von Görlitz bis Rothenburg das breite Bette bildete, welches man jetzt die Aue nennt. In Görlitz war das Wasser so hoch gestiegen, daß es in der Neißgasse bis an die Stelle traf, wo die Männer abgebildet sind, die zu dem Fenster hinaus mit dem Kruge Wasser geschöpft hatten. Eine Merkwürdigkeit, die man auf diese Weise verewigen wollte.

Andere erzählen, daß dies Bild zwei Trunkenbolde darstellt, die daselbst vom Blitz erschlagen worden.

Eine dritte Sage berichtet, das Steinbild sei eine Erinnerung an zwei Böttchermeister, welche ohne Wissen ihrer Frauen nach Prag gegangen waren, um das dasige Weißbier zu kosten, und mit einem Kruge voll zurückkamen.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862