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Der Mönch und die Verräthergasse in Görlitz

  Mündlich

Die heilige Dreifaltigkeitskirche wurde früher wegen des angebauten Franziskanerklosters auch die Mönchskirche und der lange. spitzige Eckthurm der Mönchsthurm genannt. Noch heute heißt dieser Thurm kurzweg „der Mönch“ und wenn die Uhr dieses Thurmes schlägt, sagen die Leute einfach: „der Mönch schlägt.“ Der Mönch schlägt aber immer fünf Minuten vor dem eigentlichen Ablauf der Stunde, wie es denn solche Uhren auch in andern Städten gibt. Wenn man fragt, woher das komme, so geben die Leute verschiedene Antworten. Die Einen sagen, um den Herren auf dem Rathhause anzuzeigen, daß sie sich nach Hause begeben möchten, damit die Frau nicht über die Stunde warten und die Suppe kalt werden möchte. Andere meinen, die Uhr habe den Zweck, die Schulkinder zu benachrichtigen, daß sie ihre Bücher nehmen und zur Schule kommen. Aber viele geben der Einrichtung eine historische Bedeutung.

Im Jahre 1527 wurde nämlich von einigen schlechten Menschen eine schreckliche Verschwörung gegen den Rath und die Stadt Görlitz angezettelt, die Stadt sollte an verschiedenen Stellen zugleich angezündet und der Rath gefangen genommen oder ermordet werden. Die Verschworenen versammelten sich in einem Hause der Langengasse, von wo sie durch ein Hinterpförtchen ein- und auszugehen pflegten. Sie hielten ihre Zusammenkünfte bei Nacht und gingen allemal erst auseinander, wenn die Stunde kam, daß der Nachtwächter seinen Abgesang machte und nach Hause ging.

Einmal aber schlug zufällig die nahe Mönchsuhr viel zu früh, und der Nachtwächter, der noch auf den Beinen war, sah die verdächtige Gesellschaft durch das Pförtchen schleichen. Man forschte weiter und so kam die Verschwörung an den Tag. Die Verbrecher wurden auf dem Fischmarkte vor dem jetzigen Stockhause hingerichtet. Das Seitengäßchen aber, in welches die Hinterpforte führte, bekam den Namen die Verräthergasse und hat ihn bis auf den heutigen Tag. Ueber der Thüre ist ein Stein in der Mauer befestigt, auf welchem man die Buchstaben D. V. R. T. und darunter die Jahreszahl 1527 liest, d.h. der Verrätherischen Rotte Thür 1527. Die Mönchsuhr aber wurde zur Erinnerung an ihre Mitwirkung geflissentlich so gestellt, dass sie seitde immer fünf Minuten vorher die Stunde schlägt.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862