<<< vorherige Sage | Erste Abtheilung: Völker- und Heldensagen | nächste Sage >>>

Wie Wiprecht mit einem Löwen kämpft und den Kaiser schilt

  Historia de vita et rebus Viperti in Hoffm. Script. rer. Lus. I.1. 
  Schöttgen, Historie GrafWiprechts. Chronica von dem loblichen, thewren Helde, 
  Graf Wiprechten zu Groitsch, gedr. zu Eisleben 1584. Historia ganß lustig zu lesen, 
  von deu tewren Kriegshelden, Hochberühinten Fürsten und Edlen Herrn Wiprecht, 
  Marggraffen zu Lausnitz ic., von Brotuff. Leipzig 1556.

Es waren aber bei dem Kaiser die Erzbischöfe von Mainz und Köln, die Bischöfe von Halberstadt und Münster und andere Fürsten und Herren aus dem Gefolge des böhmischen Königssohnes. Und es kam die Rede auf Wiprecht und sie rühmten alle seinen Heldensinn und seine Tapferkeit und sagten, er sei der unerschrockenste Degen wohl auf der Welt. Der Kaiser sprach: Ist dem also, woblan, so lasset uns eine Probe anstellen, ob es nicht möglich wäre, ihn zu erschrecken. Gehet hin zu Wiprecht und holt ihn flugs zu mir. Und es ging einer, ihn zu holen. Es war aber da in einem verschlossenen Hause ein wüthender Löwe, den befahl er, auf den Hof hinaus zu lassen. Der Löwe kam heraus und brüllte furchtbar und alle Anwesenden flohen an sichere Orte.

Graf Wiprecht aber wußte von dem Handel nichts und schritt ruhig in den Hof hinein. Der böhmische Königssohn wollte ihn flugs warnen, aber schon kam der Löwe auf ihn zugesprungen mit wüthendem Brüllen. Wiprecht heischte auf der Stelle sein Schwert, das sein Schildknappe hinter ihn her trug, aber der treue Diener warf sich für seinen unbewaffneten Herrn dem wilden Thiere entgegen. Doch Wiprecht war nicht der Mann, der sich auf anderer Leute Kraft verlassen wollte. Er ergriff seinen Knappen, warf ihn zurück und fiel ohne Waffen mit beiden vorgestreckten Fäusten den Löwen an und zerzauste ihm mit seiner Riesenkraft also die Mähne, daß das Thier ganz demüthig ward und bald von ihm abließ. Die Fürsten aber sahen hinter den Pfeilern versteckt das Schauspiel an und staunten über des männlichen Helden große Kühnheit. Wiprecht aber ließ den Löwen und ging ruhigen Schritts, als sei nichts geschehen, hinauf zum König, trat hin und fragte, was der König von ihn begehre und warum er ihn habe holen lassen.

Der König sprach: „Warum? Um deines eignen Heils willen, denn nun haben wir durch einen Versuch erprobt und wissen in der Wahrheit, daß dir allewege das Glück hold ist.“ Dem Grafen aber genügte diese Antwort nicht. Da sagten ihm die Fürsten den ganzen Handel. Aber Wiprecht ward zornig und sprach zum Könige: „Du hast meine treuen Dienste schlecht belohnt. Ich bin deiner Fahne gefolgt nicht zum eitlen Spiele, sondern zum ernsthaften Kampfe. Ich habe dir redlich gedient sammt meinen Mannen und bin in allen Abenteuern der Anführer und Vorsänger gewesen. Das mögen mir Alle bezeugen, die solches hören. Nun aber mag ich dir nicht länger dienen. Ich gehe hinfort zu anderen Fürsten, die meine Dienste besser lohnen und mich nicht um eitler Augenweide willen den wilden Thieren preisgeben.“ Also sprach der mannliche Held und der König fing an, sich schier vor ihm zu fürchten. Wiprecht aber ging stolz in seinen Waffen davon.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862