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Weissagung der Jungfer Ursel über die Sechsstädte

  Frenzel, hist. nat. III. 1448. msc.

Anno 1635 den 9. Mai hat Jungfrau Ursula, Michael Becker's zu Bießnitz hinterlassene Tochter, nach ihrer Aussage folgende Offenbarung gehabt: Es saßen mir zwei Engel zu Häupten, zwei Engel tanzten mit einanander. Der eine hatte einen Kranz von Nelken, der andere einen von Rosen, zwei Engel gingen hintennach und sahen gar traurig aus. Unser Herrgott saß auf einem Throne, hatte ein rothes Sammetkleid an, einen güldenen Hut mit einer weißen Feder auf dem Haupte und that seinen Mundauf und schrie: Wehe, wehe, wehe über die Sechsstädte. Die Stadt Budissin wird heimgesucht werden von einer großen Schlange, die wird hundert Ellen lang sein; um sie umzubringen, müssen 3000 streitbare Männer sein und nicht weniger noch mehr.

Die Stadt Zittau wird heimgesucht werden von einem Lindwurm, dessen Maul wird sein, wie ein Haus, er wird zwölf Häupter haben und eine Krone tragen, so groß wie der größte Berg; mit jeder Zacke derselben kann er einen Menschen tödten, darum sollen sie ihn zufrieden lassen und ihm die besten Worte geben. In dem Commersberge wird er wohnen und ein Pferd haben, dem alle Tage achtzig Scheffel Korn gegeben werden müssen. Die Sechsstädte sollen ihm geben eine jegliche Stadt zwanzig Scheffel Gerste und hundert Malter Hafer.

Die Stadt Görlitz wird ganz und gar eingeäschert werden, so sich die Inwohner nicht werden bessern, fleißig beten und Buße thun. Wenn sie aber eingeäschert sein wird, so wird man daselbst eine schöne Stadt erbauen, die wird die Neustadt heißen und 6000 Häuser haben und 200 Kirchen mit 300 Pfarrherren; in der Mitte wird ein güldenes Haus stehen mit einem großen Thurme und wird das Wohnhaus genannt werden, darinnen werden große Herren wohnen.

Zu Görlitz wird ein Kind geboren werden, das wird vier Augen und drei Köpfe haben. Zu Moyß wird ebenfalls ein solches Kind geboren werden, das soll heißen Ilian. Bis zum jüngsten Tage werden gerade noch 200 Jahre vergehen. Vorher aber wird eine unerhörte Theuerung sein. Ein Scheffel Korn wird fünfzehn Thaler, ein Scheffel Gerste zwanzig Thaler, ein Scheffel Weizen hundert Thaler kosten. Ein halbes Jahr aber vor dem jüngsten Tage wird man den Scheffel Korn für drei Groschen bekommen. Sechs Wochen später wird ein Erdbeben entstehen, alle Häuser werden einstürzen und die Menschen vor Angst nicht wissen wo aus noch ein, werden Löcher in die Erde scharren und hineinkriechen wollen, aber nicht hinein können.

In fünfundzwanzig Wochen wird ein großer Potentat, der Kaiser oder Kurfürst sterben. Dann wird es ärger denn je auf der Erde zugehen.

In drei Jahren wird ein Apfelbaum ein Malter Aepfel und ein Birnbaum nur eine Birne tragen; sie werden mit einander kämpfen und der Apfelbaum wird sprechen zu dem Birnbaume: Hast Du nicht auch getragen? Der Birnbaum aber wird den Apfelbaum erschlagen. Die Wurzeln der Bäume werden sich gen Himmel drehen am jüngsten Tage.

Heuer wird ein gut Jahr sein, aber in drei Jahren wird Gras und Getraide verdorren, als wenn's verbrannt wäre; Vieh und Menschen werden Hungers sterben. Ein Mensch wird den andern anfallen und fressen; und wer Mist zu essen haben wird, der wird sich glücklich preisen. – Solches hat mir unser Herrgott offenbart, auf daß ich es verkündige und die Menschen bekehre zur Buße und zum Gebet.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862