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Der Engelsbrunnen bei Oderwitz

  Frenzel, hist. natur. I. 483. msc. Luther's Tischreden. J. Wolff, 
  Lect. memorabil. Cent. XVI. T. II. f. 440.
  A. Hondorf, Promptuar. Fol. 197. Carpzow, Amal. V. 271.

Im Jahre 1538 war eine große Theuerung in der Oberlausitz, so daß die armen Leute sehr Hunger leiden mußten. Eine gottesfürchtige, fromme Pfarrerswittwe hatte gar nichts mehr, womit sie ihre beiden Kinder ernähren sollte. Einst ging sie in ihrer Herzensangst mit diesen an einen Brunnen und betete zu Gott, daß er sie in der theueren Zeit erhalten und erquicken wolle. Trat zu ihr ein Mann und fragte, was sie da mache? ob sie glaube, daß sie mit ihren Kindern von dem Brunnenwasser sich satt essen könne?

Sie sprach: Ja, warum nicht? Gott, dem Herrn, der das Volk Israel vierzig Jahre in der Wüste mit Manna gespeiset hat, ist nichts unmöglich und er kann auch mich mit bloßem Wassertrinken erhalten. Da sprach der Mann: Siehe! weil Du so gläubig bist, so gehe heim; Du wirst in Deinem Hause drei Scheffel voll Mehl finden. Und als sie zu Hause ankam, war es so. Da erkannte sie, daß der Mann ein Engel gewesen war, und wie die wunderbare Geschichte sich unter dem Volke ausbreitete, so nannte es den Brunnen, wo sie gebetet hatte, den Engelsbrunnen, wie er denn auch heißt bis auf den heutigen Tag.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862