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Der Hungerbrunnen bei Olbersdorf

  Moraweck im Oberlaus. Journ. 1851, Okt. S. 167.

An der sogenannten alten Leipa'er Straße im Olbersdorfer Forste findet sich ein stark quellender Brunnen zur Rechten des Weges, zur Linken aber ein Denkmal in den Felsen gehauen. Es stellt ein Brod dar mit einem Kranze darum, sodann ein Kind in einem länglich runden Rahmen und eine jetzt ganz unleserliche Inschrift.

Die Sage erzählt, bei einer großen Hungersnoth (im Jahre 1539) sei eine fromme Mutter aus Zittau mit ihren beiden Kindern in die äußerste Noth gerathen und in ihrer Herzensangst an den Brunnen gegangen, um dort zu beten. Da sei ihr ein Engel vom Himmel erschienen und habe sie und ihre Kinder gespeist und gesättigt.

Anmerkungen:

1. Das Bildwerk vereinigt gar schön die drei Symbole der Fruchtbarkeit: Brunnen, Brod und Kind. Der Kinderbrunnen auf dem Rammelsberge bei Goslar in Stein gehauene Kinder. Dort soll nämlich eine Frau mit Zwillingskindern nieder gekommen sein. (Grimm: D. S. S. 163.) Der Engel war wohl ein christianisirter Brunnengeist, etwa Frau Holle. Sonst hat die Lausitz keine Brunnennymphe aufzuweisen. Die Nixen wohnen in Seen und fließendem Wasser, und die Fee (?) Pschipownitza in der Sage von der Gründung Löbau's scheint mir novellistische Ausschmückung zu sein. Auch der Hollenbrunnen ist nicht Wohnung der Göttin, sondern Weg zu ihr. Nur in größeren Weihern oder Seen pflegen Nerthus und Holle zu baden. (Grimm: Myth. S. 275.)

2. Mehrfache Ueberlieferungen bestätigen, daß diese Heilquellen besonders bei eintretendem Frühlinge gottesdienstliche Verehrung genossen. Sie wurden beim Frühlingsfeste feierlich geweiht. (Gerber: Unerkannte Wohlthaten S. 14.) Bis heutigen Tag werden die Hirten, wenn sie das erste Mal das Vieh auf die Weide getrieben, beim Nachhausekommen mit Wasser begossen. Die deutsche Göttin Ostara, für deren Verehrung bei den Göttersagen und in den Legenden noch einige Spuren nachgewiesen sind, diese Frühlings- (und Liebes-) Göttin der alten Deutschen hatte einen ausgebreiteten Quellenfultus. Am Ostermorgen holen die Mägde das sogenannte „stille Osterwasser“. In der Wende läuft am Ostermorgen die ganze Jugend im Dorfe umher und jeder Begegnende wird mit Wasser begossen und besprützt. Dies geschieht auch mit dem Vieh in den Ställen. In der Quelle am Sybillensteine badete sich Mann, Weib, Kind und Vieh (S. No. 15.)

3. Im katholischen Mittelalter wusch man zu Ostern (am grünen Donnerstage) die Altäre. Nicht nur das Kerzenfeuer, sondern auch der Taufstein und das Taufwasser wurden fürs ganze Jahr am Ostertage feierlich geweiht. Ostern war früher allgemeiner Tauftermin – daher jetzt noch Termin der Konfirmation, in welcher das Taufgelübde bestätigt wird. – Das Taufwasser wird in manchen Gegenden zu allerhand Aberglauben benutzt. – Zu Himmelfahrt gossen die Priester Wasser in großen Kannen über die in der Kirche versammelte Gemeinde. (Magnus: Gesch. v. Sorau S. 23. vgl. Worbs: Neues Archiv S. 272.)

4. Wenn die wendische Braut von der Trauung nach Hause kommt, geht sie in den Kuhstall und stößt dort eine mit Wasser gefüllte Kanne mit dem Fuße um. – Ehe die Brautleute zu Bette gehen, nehmen sie einen frischen Trunk Wasser (nach alter auch schlesischer Sitte ein auch bei gerichtlichen Verhandlungen gebräuchlich gewesenes Symbol „angelobter Treue“). (S. Worbs: Neues Archiv S. 94.)

5. Das wendische Begräbnis bringt auch einen Beitrag zum Wasserkultus. In Geislitz bei Hoyerswerda nehmen die Leichenbegleiter ihren Rückweg vom Kirchhofe stets durch ein fließendes Wasser. Diese Sitte wird so streng innegehalten, daß auch im Winter die Brücke nicht benutzt, sondern das Eis aufgehackt wird, damit der Trauerzug durchwaten kann.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862