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Der Schatz im Kirschauer Raubschlosse - Zweite Sage (K. Haupt)

  Nach Gräve S. 148.

Um den Schatz zu heben, muß man in der Nacht vom 22. zum 23. Februar geboren sein und in drei auf einander folgenden Jahren allemal den ersten August das heilige Abendmahl genossen haben. Die Zauberformel träumt einem dann in der Christnacht. Die Hebung des Schatzes kann nur am ersten August – Petri Kettenfeier1) – geschehen. Man braucht dazu einen schwarzen Kater, einen schwarzen Hahn und eine schwarze Schlange. Die muß man in der Burgruine schlachten, das Blut mit Bilsenkraut vermischen, sich damit Gesicht und Hände waschen und nun dreimal die Zauberformel sprechen. Das Weitere findet sich dann von selbst.

Im Jahre 1607 lebte zu Budissin ein junger Mann von achtzehn Jahren, Namens Karl Leude, ein abenteuerlicher und verwegener Gesell. Der wollte gern auf recht leichte Art zu Reichthum und Ansehen gelangen. Er beschloß den Kirschauer Schatz zu heben, denn er war am 23. Februar geboren. Alle Vorschriften hatte er befolgt, die Zauberformel hatte er geträumt und mit den nöthigen schwarzen Thieren versehen bestieg er am ersten August die Ruine. Zitternd schlachtete er die Thiere, aber als er sich mit dem Blute derselben gewaschen hatte, kam eine wunderbare Kraft über ihn. Alle Furcht zerrann, seine Muskeln stählten sich und sein Geist wurde stark und muthig.

Kaum hatte er die Zauberformel ausgesprochen, so öffnete sich vor seinen Augen eine Pforte. Er schritt hinein und gelangte in eine von hellem Kerzenscheine erleuchtete Höhle. In deren Mitte stand ein steinerner Tisch. Darauf lag ein blankes Schwert und daneben stand ein goldener Helm mit schwarzem Federbusch. Vor ihm aber stand plötzlich eine schöne Jungfrau mit glühenden Wangen und purpurrothen Lippen. Lange blonde Locken fielen auf ihre Schultern herab. Auf ihrem Haupte glänzte ein goldener Reif, um ihren weißen Nacken eine goldene Kette und ein langes weißes Gewand umhüllte die hohe Gestalt. Schweigend trat sie zum Tische, nahm den Helm, überreichte ihn dem Jünglinge, und als er ihn aufs Haupt gesetzt, reichte sie ihm auch das blanke Schwert und rief ihm freundlich zu: Folge mir nach! Die Wanderung ging durch einen langen schmalen Gang und endigte in einem hohen mit Mauern umgebenen Schloßhofe. Hier stand gegen das Schloß zu eine hohe steinerne Säule. Rette mich, rief flehend die Jungfrau, schlage dreimal mit dem Schwerte an die Säule, bekämpfe den darunter verbannten Ritter und gieb dem Falken auf dem Goldkessel das Blut der Person zu trinken, auf deren Arm er sich setzen wird.

Ohne zu zögern schlug Karl dreimal an die hohe steinerne Säule, daß laut das Schwert erklang und helle Funken sprühten. Die Säule stürzte in Stücke zusammen, ein großer eiserner Kessel, mit eitel Gold und Edelsteinen gefüllt, ward sichtbar, vor ihm aber stand mit gezücktem Schwerte ein schwarzer, furchtbarer Ritter, einen blutrothen Helm mit fliegenden Federn auf dem Haupte. Um seine Schultern hing eine goldene Ritterkette. Auf dem Kessel aber lag ein strahlender Schild. Darauf saß der Falke und wetzte seinen eisernen Schnabel an dem ehernen Gefieder.

Karl schaute nach der Jungfrau und schwang sein Schwert gegen den Ritter. Dieser hob das seinige und der Kampf begann. Da flog der Falke auf, schoß pfeilschnell nach der Jungfrau hin und setzte sich auf ihren Arm. Karl sah es, ein Angstschrei entfloh seinem Munde, das Schwert entsank seiner Hand. Da traf ihn ein zweiter Schwertstreich des Ritters und lähmte seinen Arm. Besinnungslos stürzte er nieder. Als er wieder zum Bewußtsein kam, hörte er aus der Ferne den klagenden Gesang der Jungfrau, deren Blut er nicht hatte vergießen wollen. Von dem Ritter, dem Schatz und dem Falken war keine Spur zu entdecken. Als aber die ersten Strahlen der Sonne die Trümmer des Schlosses erleuchteten, da verstummten auch die letzten Töne des Gesanges, er selbst aber ward nur durch seinen für immer gelähmten Arm daran erinnert, daß er nicht geträumt habe. Da er jedoch die Zauberformel gänzlich vergessen hatte, konnte er sein Wagstück nicht noch einmal unternehmen.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862


1)
St. Peter ad Vincula, katholisches Fest zur Befreiung des hl. Petrus aus dem Kerker