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Die weiße Frau bei Schönbrunn

  Mündlich.

Wenn die Schönbrunner Bauern sich Donnerstags in Görlitz beim Wochenmarkte etwas verspätet haben, und erst um die zwölfte Stunde auf das Dorf zufahren, kommt es wohl vor, daß die Pferde zusammen schrecken und so wild werden, daß sie kaum zu halten sind. Wer dann recht Acht giebt, der sieht mitten auf dem Felde, unterhalb des Pfaffenberges, die weiße Gestalt einer Frau mit einem kleinen Kinde auf dem Arme aus der Erde auftauchen, den Fußsteg entlang auf die Kirche zu und bei dieser vorbei auf den Pfarrhof gehen und an der Thür des Pfarrhauses wieder verschwinden.

Das ist der unruhige Geist eines armen Weibsbildes, welches die Franzosen mit sich führten, als eine ganze Division derselben unter General Dürütte während des Waffenstillstandes im Jahre 1813 hier ein Lager bezogen hatte. Die Arme wurde in einem Zelte, unter Beihülfe einiger Soldaten, von einem Kinde entbunden und starb bald darauf. Die rohen Krieger gaben ihr das Kind, welches nur schwach athmete und keineswegs ganz todt gewesen sein soll, in den Arm und verscharrten beide Leichname nicht weit von dem Lager auf dem Felde. Man sagt, daß bald nach dem Abzuge der Franzosen die weiße Frau mit dem Kinde dem Ortspfarrer viele Male erschienen sei und ihn gebeten habe, ihre Gebeine in geweihte Erde begraben zu lassen. Die Nachbarn, welche sie nun vom Pfaffenberge herunter in die Pfarrwohnung kommen sahen, haben ihn auch mehrfach angegangen, daß er doch das thun möchte, um dem irrenden Geiste Ruhe zu verschaffen; der Pfarrer aber, ein arger Rationalist, hat niemals etwas davon wissen wollen und immer gegen die Bauern behauptet, die Erscheinung bestände nur in ihrer Einbildung, er habe nie etwas davon gesehen.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862