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Die Hexengeschichte aus Saßleben

  Sassleben

In Saßleben wohnte vor mehr als fünfzig Jahren ein Schulehrer, welcher eine sehr böse Nachbarin hatte. Die Frau war als Hexe im ganzen Dorfe verschrieen.

Eines Abends musste der Lehrer um zehn Uhr im Auftrage des Dorfschulzen nach Kalau gehen. Beim Nachhausegehen traf er auf einem Kreuzweg eine dunkle Gestalt, welche vor seinen Augen bald grösser, bald kleiner wurde. Plötzlich sprang sie mit Heftigkeit auf ihn zu. Sie schnürte ihm den Hals so zusammen, dass der Lehrer Furcht bekam, sie werde ihn erwürgen. In der Angst nahm er seinen derben Knotenstock und schlug aus Leibeskräften auf den Spuk los. Die Schläge klangen, wie wenn sie auf einen alten Topf fielen.

Plötzlich verschwand der Spuk: nur in der Ferne hörte der Lehrer noch ein Rauschen.

Ganz matt kam er zu Hause an und erzählte den Seinen, was ihm begegnet sei. Da öffnete sich schnell die Thür: die älteste Tochter der Nachbarin trat ganz bleich herein und sprach: „Mein Gott, wir wissen gar nicht, was wir mit unserer Mutter anfangen sollen, sie geberdet sich in ihrem Bette wie wahnsinnig; sie fing auf einmal an, fürchterlich zu schreien und zu toben, als wenn sie grosse Schmerzen hätte, ihr Rücken und ihre Arme sind braun und blau geschlagen.“ Da wusste der Schulmeister gar wohl, was mit der Nachbarin los war. Ihr Geist war im Felde gewesen und hatte die Gestalt angenommen, welche ihn belästigt hatte, während ihr Leib ruhig im Bette gelegen hatte.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880