<<< vorherige Seite | Sagenbuch des Preußischen Staates - Harz | nächste Seite >>>

Das Entstehen der Räder-See

  S. Pröhle S. 195

Eine und eine halbe Stunde von Stolberg, eine halbe Stunde von dem Kloster Stempeda, soll vor Zeiten ein Hüttenwerk gestanden haben, jetzt ist daselbst ein großer Teich, genannt die Räder-See. Ihr Wasser ist grau und die Fische darin ganz mit Moos bewachsen. Von dem Entstehen dieses Sees wird aber Folgendes erzählt. Ein Werkführer in dem Hüttenwerke legte breite Silberplatten zurück und verbarg sie unter die Dielen, so daß er sie ordentlich einlegte. Das that er nur, um das Silber wieder für den Grafen emporzuheben, wenn keins mehr vorhanden wäre. Aber die Magd bemerkte und verrieth es. Wenn damals ein Bergmann nur Weniges gestohlen hatte, mußte er sterben, und darum wurde der Werkführer in Stolberg auf dem Markte vor dem jetzigen John'schen Gasthofe hingerichtet. Dabei nahm er eine Semmel in die Hand und sagte: So rein und unschuldig als die Semmel wäre auch er, und so gewiß er unschuldig gerichtet würde, so gewiß würde das Hüttenwerk in dem Augenblick untergehen, wo sein Kopf vom Rumpfe flöge, und nicht eher wieder zum Vorschein kommen, als bis drei Grafen geboren wären, von denen jeder der beiden ersten gewisse körperliche Eigenheiten hätte, und der dritte eine Haselruthe fände, die in einem Schosse sieben Fuß hoch gewachsen wäre. Alsdann müßte eine Wanne Goldes angewendet werden, ehe das Hüttenwerk wieder in Gang käme. In dem Augenblick, wo des Werkführers Kopf fiel, soll aber in der Hütte ein Mann (welcher die Erscheinung des Werkführers war) gestanden und das Triebrad mit einer Hand eingehalten haben. Danach ging das ganze Werk unter Wasser, wie es noch jetzt zu sehen ist, und soll von dem versunkenen Räderwerke die Rädersee heißen. Ein Hallore und noch ein anderer Mann sollen hineingetaucht und auf ein Gebäude gestoßen sein, der Hallore auch einen Ring von einem Eimer mit emporgebracht haben, aber selbst für tausend Thaler wollte Keiner zum zweiten Male hinein, denn sie wurden unten von Geistern gepeinigt. Der Hallore brachte auch eine Kachel mit herauf. Was die Ruthe anlangt, so soll sie im alten Stolberg von Graf Joseph gefunden eine Hagedornruthe sein und in der Rüstkammer stehen. Er brauchte nur damit auf das Wasser zu schlagen und Alles hätte in alter Pracht wieder dagestanden.

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 502-503