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Der Knecht und das Lüttchen zu Göllnitz

Der Lüttchenberg bei Göllnitz hat seinen Namen von den Lüttchen, kleinen Leuten, die tief im Inneren des Berges ihr Wesen treiben. Was sie dort treiben ist ihr Geheimnis, doch geht die Sage von unendlichen Gold- und Edelsteinschätzen, welche die Lüttchen dort gewinnen und bearbeiten.

Einmal nur, in einer Nacht des vollen Mondes, kommen die Lüttchen hervor und dann auch nur in der Stunde von 12 bis 1 Uhr um Mitternacht. Nur ein Sonntagskind, welches noch dazu in einer Vollmondnacht zu mitternächtlicher Stunde geboren sein muß, kann die kleinen Wichte dann beobachten. Kaum einem ist es daher gelungen, die Lüttchen wirklich bei ihrem Treiben zu beobachten, daher sind auch die Berichte über sie so dunkel und verworren.

Einmal ist jedoch einer der kleinen Männer einen ganzen Monat lang in menschlicher Gesellschaft gewesen und davon soll hier berichtet werden.

In einer hellen Frühlingsvollmondnacht strömten aus dem Lüttchenberg helle Scharen der kleinen Männer aus sich öffnenden geheimen Pforten. Sie rüsteten zu ihrem Mondfest, schleppten Tische, Stühle, Speisen und Getränke herbei. Sie setzten sich schließlich um den gedeckten Tisch, ließen sich die Speisen und Getränke munden. Hell klangen die gefüllten Gläser aneinander, Messer und Gabeln klapperten auf den Tellern und bald ertönten ihre schönen Lieder in die Nacht hinaus.

Nur eines der Männchen hielt sich fern von der Tafel. Ihn plagte die Unruhe und die Neugier. Ihn zog es in das Menschenreich. Er wollte doch zu gern das Dorf sehen, in welchem die Menschen zu Hause waren. Und so lehnte er an einer alten Eiche und sah zu den Häusern von Göllnitz hinüber, von wo eben die Kirchenglocken ihr Geläut ertönen ließen. Unser Lüttchen kam, von dem herrlichen Anblick des Dorfes und dem erhaben Geläut der Glocken betört, ins Träumen – und da schlug die Kirchturmuhr schon die erste Stunde des neuen Tages! Oh weh, das war der Augenblick, in welchem sich der Berg verschloß und unser kleiner Träumer hatte den Weg zurück versäumt!

Ratlos und traurig setzte sich das Männchen unter die Eiche und schlief bald vor Kummer, Erschöpfung, Angst und Kälte ein. Ein Knecht mit mitleidigem Herzen fand den kleinen Schläfer, als er am frühen Morgen auf das Feld wollte. Er nahm seinen Hut ab und setzte unser Lüttchen hinein. „Hier hast Du es wärmer“, dachte er bei sich, „schlafe nur und wenn Du ausgeschlafen hast, dann wollen wir weiter sehen“.

Zur Frühstückszeit hatte der Knecht seine Arbeit getan und kehrte zu seinem Hut mit dem Männchen zurück. Letzteres blickte ihm erschrocken entgegen. Einen so riesenhaften Kerl wie diesen Knecht hatte es noch nie gesehen. Der Knecht aber näherte sich dem Lüttchen behutsam, gab ihm ein Krümchen von seinem Frühstücksbrot und auch ein Schlückchen Kaffee. Da fing das Männlein an von seinem Mißgeschick zu erzählen.

Der Knecht tröstete das Männchen und versprach ihm seine Hilfe. „Das bisschen Essen und Trinken, welches du brauchst, fällt von dem meinen leicht ab. Schlafen wirst du bei mir im Bett, du mußt dich nur vorsehen, wenn ich mich im Bett umdrehe kannst du leicht erdrückt werden. Vor allem aber, laß dich nicht von den Menschen sehen! Gewiß würden sie mit dir Unfug treiben!“

Als die Mittagszeit gekommen war, steckte der Knecht das kleine Wesen in seine Rocktasche und nahm es mit nach Hause. So kam der Lüttchen in die Menschenstube und beachtete alle Hinweise des Knechtes sorgsam. Jetzt konnte unser Lüttchen die ihm geheimnisvolle Welt der Menschen eingehend beobachten. Er hörte das Gejohle der Kinder auf dem Hof, beobachtete die Bäuerin mit dem Milcheimer, sah den stolzen Hahn mit seinen Hennen auf dem Mist scharren. Kam der Knecht abends in seine Kammer, dann erzählten sie sich oftmals lange. Der Knecht erfuhr vom Leben der Lüttchen im Berg und unser Lüttchen manches Interessante aus der Menschenwelt.

Als die Vollmondnacht, in welcher sich der Lüttchenberg wieder öffnete herangenaht war, ging der Knecht unter dem Vorwand seinen Wetzstein vergessen zu haben, auf das Feld. Das Lüttchen hatte er in seiner Rocktasche versteckt. An der Eiche, unter welcher der Knecht das Männlein gefunden hatte, setzte er es in das Gras. Sie verabschiedeten sich herzlich und das Lüttchen eilte dem Berg zu, um pünktlich Schlag 12 am Ort zu sein. Als sich die geheime Pforte um Mitternacht öffnete und all die Lüttchen aus dem Bergesinneren hervorströmten, war der Jubel groß. Alle freuten sich, daß der kleine Ausreißer wieder bei den Seinen war.

Der Knecht aber fand am nächsten Morgen auf dem Platz, auf welchem er seine Sachen hinzulegen pflegte, einen großen Klumpen Gold. Am Monatsende nahm er von seinem Bauern seinen Abschied. In einem fernen Dorfe kaufte er sich ein, nahm ein Weib und zeugte mit ihr viele Kinder. Mit seiner Familie lebte er auf seinem Hof lange Jahre in Glück und Zufriedenheit. Oftmals erzählte er an den langen Winterabenden seiner Familie von dem Erlebnis mit dem Lüttchen aus Göllnitz.

Quelle: E.H.Wusch: Sagen meiner Heimat, eine Sammlung mündlich übertragener Sagen der Lausitz