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Doppelgänger

In einem gewissen fürstlichen Schloss in Deutschland hat sich das Folgende wahrhaftig zugetragen. Des Amtmanns Frau wollte in ihres Mannes Schreibstube gehen, um dort etwas zu holen, welches er eben verlangt hatte. Als sie aber die Tür der Schreibstube öffnete, siehe, da saß ihr Mann, den sie eben in der Küche verlassen hatte, leibhaft und eigentlich in seinem Stuhl am Schreibtisch, sodass sie im ersten Augenblick zweifelte, ob auch wirklich ihr Mann unten sei. Erschrocken lief sie die Treppe herunter, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, ob sie sich nicht betrogen hätte, doch da saß ihr Eheherr ruhig und still und von nichts wissend in der Küche. Mit großer Angst und Beben erzählte sie ihm ihre Geschichte, bat ihn aber zugleich nicht zur Schreibstube zu gehen, damit ihm kein Unglück widerfahre; sie hielt nämlich dafür, dass die Erscheinung ein Vorzeichen seines nahen Todes sei. Er war aber ein kühner Mann, der nicht leichtlich an solcherlei glaubte, und sprach, er müsse sich überzeugen, was an der Sache wäre, ging die Treppe herauf und öffnete, gefolgt von seiner zitternden Ehefrau, die Tür der Kammer. Da sah auch er sich in demselben Schlafrock sitzen, den er anhatte, ganz wie er leibte und lebte, und sah sich schreiben, so durchaus auf dieselbe Weise, wie er zu tun gewohnt war, dass es ein Wunder zu schauen war. Seine Frau bat ihn ernstlich, doch hinweg und wieder mit ihr herunterzugehen. Das ließ ihm aber seine Unverzagtheit nicht zu; im Gegenteil, er ging auf den Stuhl los, auf dem sein Doppelgänger saß, und befahl diesem aufzustehen, indem er sprach: »Höre, Geselle, es kommt mir zu, hier zu sitzen und nicht dir. Du hast nichts hier zu schaffen, darum packe dich!« Mit den Worten rückte er den Stuhl weg und das Gespenst verschwand.

Quellen: