<<< zurück | Sagen und Märchen aus dem Oberharz | weiter >>>

Der Venezianer

Was sonst alle passiert ist, und was die Leute sonst gekonnt haben, davon macht sich jetzt keiner eine Vorstellung. Vor Zeiten lebte in Lautenthal ein armer Bergmann, der war aber reich an Kindern, acht, alle waren wie die Orgelpfeifen, dabei nackt und bloß und oft hatten sie nichts zu beißen und zu brechen. Der Vater quälte sich genug um das tägliche Brot, schämte sich keiner Arbeit, war fleißig und tätig, mochte Nacht oder Tag sein. Er tat alles, was vorkam, wenn’s nur recht und ehrlich war. Schlechtigkeit musste ihm aber vom Leibe bleiben, und wenn er auch mit Frau und Kindern hungern musste, Unrecht tat er nicht.

Im Frühjahr holte er einstmals Erbsenstiefel und verkaufte sie. Wie er nun im Wald war und sich zwei tüchtige Bunde zurecht gemacht hatte, wurde er müde. Es war ein heißer Tag. Er suchte sich also eine weiche Stelle unter einem Baum, wo Schatten war und legte sich hin. Wie lange er da geschlafen hatte, das wusste er nicht. Er wachte wieder auf, denn es weckte ihn jemand. Da stand ein Mann vor ihm, der war recht freundlich und liebreich zu ihm und fragte, wie es ihm gehe. Der Bergmann wollte erst nicht recht mit der Sprache heraus; er war noch halb im Schlaf. Der Fremde wurde immer zutraulicher und der Bergmann munterer, fing auch an zu sprechen und sagte, ach, er hätte seine Not. Er müsse für acht Kinder Brot schaffen, und dazu sei schlimme Zeit, wenig zu verdienen. Da wisse man wohl, wie’s einem da ging.

Der Fremde sagte: »Wenn du mir vertrauen willst, so kann ich dir helfen und du bist mit einem Mal allem Leid entsprungen.«

»Wenn das Gott gebe«, sprach der Bergmann, »so will ich ihm auf seinen Knien danken. Ich will ja gerne alles tun, wenn er nur aus seiner Not kommen könnte. Nur müsste er nichts Unrechtes von mir verlangen.«

»Nein«, sagt der Fremde, »das verlange ich nicht von dir. Du vertraust mir also unbedingt.«

»Ja, von Herzen gern, wenn Ihr es gut mit mir meint.«

»Das versteht sich von selbst«, sagt der Fremde. »So lege dich nur wieder hin und schlafe, dann wirst du sehen, wie’s kommt.«

Der Bergmann war noch herzlich müde und dachte auch, im Schlaf könne man nicht leicht sündigen und schlief ein. Wie lange er diesmal geschlafen hatte, wusste er wieder nicht. Als er wieder aufgewacht war, lag er auf einem Bett von Samt und Seide, in der Stube standen an den Wänden die schönsten Gerätschaften, Kommoden, Tische, Stühle, Kanapees von blankem Holz und mit Samt überzogen, die hübschesten Spiegel hingen an den Wänden in Goldrahmen, eben so auch große Bilder mannshoch, als ob sie lebten. An der Tür standen zwei Diener in Kleidern, die von Gold und Silber starrten, und die gewartet hatten, bis er aufwachte. Wie nun der Bergmann seine Augen aufgeschlagen hatte und sich verwundert über die Pracht und über alles, was er da sah, da traten die Diener ans Bett und fragten, ob der Herr gut geschlafen hätte.

»Ja«, sagte der Bergmann. Aber meine Herren, wo bin ich denn?«

»In Venedig«, antwortete der eine Diener recht ehrfurchtsvoll.

»In Venedig? Mein Himmel, wie komme ich denn dahin?«, fragte der Bergmann verwundert.

»Das wird der Herr schon wissen und erfahren«, sagte der andere Diener. »Dürfen wir beim Aufstehen helfen?«

»Ach«, antwortet der Bergmann, »das bin ich nicht gewohnt. Ich kann allein aufstehen.«

Er stieg aus dem Bett und wollte sein Zeug anziehen. Das war aber fort, und die Diener zogen ihm anderes an, viel Schöneres, und putzten ihn ordentlich heraus, dass er wie der vornehmste Herr aussah. Auch hatte er sich aus einem silbernen Waschbecken waschen müssen. Der Diener reichte ihm in kristallenem Krug Mundwasser, alles aufs Beste und Feinste. Der Bergmann wunderte sich in einem fort und schüttelte mit dem Kopf. Er wusste gar nicht, ob denn alles so in Wirklichkeit war, oder träumte er nur. Hierauf fragten die Diener, womit sie ihm aufwarten könnten.

»Ach«, sagte der Bergmann, »ich habe Hunger im Kamisol, ich möchte gern was essen.« Darauf liefen die Diener fort, und es dauerte nicht lange, so brachten sie ein Frühstück, besser kann’s der König nicht haben, sie trugen auch auf, dass der Tisch knackte.

Na, dachte unser Bergmann, wenn du doch isst und trinkst und wirst satt, so ist doch das kein Traum. Er setzte sich hin und aß und trank, bis er nicht mehr konnte, denn es schmeckte ihm alles so gut, wie ihm noch nichts geschmeckt hatte – der Braten und das schöne weiße Brot und dazu der starke Wein, der so feurig gewesen war. Nun wurde er dreister und fragte die Diener, wo denn ihr Herr stecke und wer das wäre. Eben wollten ihm die Diener antworten, da kamt der Herr zur Tür herein und das war eben der gewesen, der freundliche und liebreiche Mann, den der Bergmann dort bei Lautenthal gesehen und gesprochen, der ihm gesagt hatte, er solle nur wieder einschlafen, dann würde sich’s weiter finden.

Der kam auf ihn zu, reichte ihm die Hand und fragte: »Na, wie gefällt dir es hier?«

»O«, antwortete der Bergmann, »wem sollte es hier nicht gefallen, aber meine armen Kinder und meine gute Frau! Eine Bitte hätte ich, sagt mir, wie bin ich hierher gekommen, und was habt ihr mit mir im Willen?«

»Ich will dich beglücken«, sprach der Herr, »wenn du mir vertraust. Doch will ich dir gleich beweisen, dass ich dich schon lange gekannt habe, dass ich von deiner Vergangenheit, deiner Gegenwart und dass ich deine Zukunft weiß. Tritt vor diesen Spiegel, darin wirst du sehen, wie es dir gegangen ist.«

Als der Bergmann davor stand, sah er sich, wie er seine jetzige Frau als Mädchen fragte, ob sie seine Braut werden wolle. Dann, wie er sie als Braut in die Kirche führte und Hochzeit hielt; und noch manches andere, was er schon längst vergessen hatte, woran er aber gleich wieder dachte, und was ihm auch gleich einfiel. Vor Verwunderung konnte er kein Wort sprechen. Da führte ihn der Herr zum zweiten Spiegel.

In diesem sah er, wie seine Frau und Kinder zu Hause weinen, jammern und wehklagen um ihn; denn sie meinten, er sei tot. Das machte den Vater weichherzig, und die Tränen purzelten ihm über die Backen. Zuletzt musste er noch vor einen dritten Spiegel treten. Dort sah er, wie er mit seiner Familie im großen Wohlstand lebte; dann aber auch, wie er durch Habsucht wieder in Armut zurücksank.

»Sieh«, sagte der Venezianer, »das Letzte wird nicht geschehen, wenn du mir folgen willst.« »Ach, ich will alles tun, was Ihr mir sagt«, sprach der Bergmann, »sagt nur, was soll ich tun?«

»Willst du noch länger hier bleiben, so steht es dir frei, willst du aber nach Hause, so kann das auch geschehen«, sagte der Herr.

»Ach ja», antwortete der Bergmann, »ich will den meinen zu Hilfe kommen. Ich kann nicht so lange das Elend ansehen, in dem sie sind. Sag nur, teurer Gönner, wie kann ich helfen.«

Darauf bekam er zur Antwort: »Wenn du nach Hause kommst, so grabe unter dem Baum, der in deinem Garten steht, ein Loch, zwei Fuß tief, bei Nacht, zwischen elf und zwölf Uhr. Dann wirst du darin eine gelbe Erde finden. Davon drücke dir jedes Mal zwei Kugeln, so groß, dass du sie mit beiden Händen umspannen kannst, und trage sie nach Goslar und verkaufe sie an den Goldschmied. Du darfst aber nicht mehr, als die Woche zwei mal zwei Kugeln machen und verkaufen. Machst und verkaufst du mehr, so ist’s dein Unglück. Sieh, hier will ich dir auch noch etwas machen, das dir gleich auf die Beine hilft. Hier habe ich eine Erdart und da mehrere Flüssigkeiten. Wenn ich davon etwas auf die Erde gieße, nur ein paar Tropfen, und drehe dann in der Hand Kügelchen davon, so entstehen die schönsten Edelsteine.«

Er probierte es und gab die so gemachten Edelsteine, die wie die Sonne leuchteten, dem Bergmann zum Andenken und sagte: »Wenn du nach Goslar kommst, so bekommst du schweres Geld dafür.«

Der Bergmann bedankte sich mit Tränen im Auge aufs Herzlichste dafür, wickelte sie recht sorgfältig ein und steckte sie in die Tasche.

Nun sprach der Venezianer: »Komm, lass uns noch ein wenig spazieren gehen. Du musst doch auch sehen, wie es in Venedig ist.«

Spät abends kamen sie erst wieder nach Hause, und der Bergmann wusste gar nicht mehr, was er alles Schönes und Herrliches gesehen hatte. Der Herr wünschte ihm eine gute Nacht.

Die Diener waren dem Bergmann beim Ausziehen wieder behilflich, er musste sich wieder in das schöne Bett legen und war gleich vor übergroßer Müdigkeit eingeschlafen. Als er am anderen Morgen aufwachte, lag er wieder unter der Tanne. Erst meinte er, er hätte geträumt, griff aber gleich in seine Tasche. Da steckten aber die beiden Edelsteine, die der Venezianer ihm gemacht und geschenkt hatte. Nun packte er gleich auf und ging nach Goslar, verkauft sie und bekam dafür schweres Geld. Danach machte er, dass er damit nach Hause kam. Wie er in die Haustür trat, da stürzten ihm Frau und Kinder vor Freuden entgegen, hingen sich an seinen Hals, an seine Hände und Beine, dass er erst gar nicht zu Wort kommen konnte. Dann ging’s ans Fragen, ob er auch Geld mitgebracht hätte, sie wären alle hungrig, fast zum Verhungern. Nun wurde gleich fortgeschickt und Brot und Fleisch gekauft und das erste Mal nach langer Zeit konnten sich Frau und Kinder satt essen. Das war eine Freude und ein Jubel gewesen, wie nie zuvor. Des Abends ging der Bergmann zwischen elf und zwölf Uhr in den Garten und fand alles so, wie der Venezianer es gesagt hat.

Lange Jahre war der Bergmann folgsam und genügsam und wurde ein grundreicher Mann. Doch am Ende fuhr ihm der Geizteufel in den Kopf, er machte in einer Woche zum dritten Mal zwei Kugeln und brachte sie nach Goslar. Als er mit voller Tasche zurückkam, wurde er müde, er mochte wollen oder nicht, er musste sich unter eine Tanne legen und schlief ein.

Da erschien ihm der Venezianer, weckte ihn auf und sprach: »Siehst du, jetzt wirst du wieder arm werden, wie du früher gewesen bist. Das hast du von deiner Habgier.« Und dann verschwand er.

Und so wie der gesagt und wie es der Bergmann im Spiegel gesehen hatte, so war es auch gekommen. Da hatte er noch am Ende verhungern müssen.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862