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Die buckligen Musikanten

Es lebte hier einmal ein buckliger Musikant, welcher auf den benachbarten Dörfern bei Hochzeiten und Kirmessen zum Tanze aufspielte. Eines Tages kehrte er sehr spät am Abend von Eilendorf nach Aachen zurück. Als er eben am Münster vorbei ging, da schlug die Thurmglocke in langsamen und dumpfen Schlägen zwölf Uhr. Beim letzten Schlage kam es ihm vor, als höre er Eulengekrächz und das Schwirren von ungewöhlich großen Fledermäusen in der Luft, am Boden bemerkte er eine Menge schwarzer Katzen, welche ihn mit feurigen Augen anglotzten. Jetzt erst erinnerte er sich mit Schrecken, daß heute grade eine Quatembernacht war. Allein, was wollte er thun, mit beschleunigten Schritten eilte er der Schmiedstraße zu und war eben bis ans Grashaus gekommen, als er wie versteinert stehen blieb.

Er sah plötzlich das ganze Pervisch, den jetzigen Fischmarkt, mit schön gedeckten Tafeln besetzt, worauf in silbernen und goldenen Gefäßen die köstlichsten Speisen dufteten. Der Wein blinkte in kristallenen Krügen und tausende Kerzen erhellten das Ganze. An allen Tischen saßen herrlich geputzte Damen und freuten sich des Mahles und unter ihnen waren gar viele aus der Stadt, welche der Spielmann wohl kannte, deren Namen aber nie bekannt wurden, weil er sie seiner Frau nicht nannte, trotz ihres Bittens und Drohens. Vor Entsetzen über alle diese Hexen kauerte sich der Musikant in einer Ecke nieder und hoffte so unbemerkt zu bleiben. In diesem Augenblicke faßte ihn aber schon eine der Damen beim Arm und redete ihn also an: „nur nicht so furchtsam, guter Spielmann, tritt näher und spiele uns zum Tanze auf, wir werden Dir dafür dankbar sein und Dich reichlich belohnen!“ Indem sie so sprach, reichte sie demselben einen Pokal des kostbarsten Weines.

Mit schlotterendem Gebein und klappernden Zähnen verneigte sich der Spielmann und trank den Pokal in voller Verwirrung in einem Zuge aus und hierauf schien plötzlich alle Furcht von ihm gewichen. Unterdessen waren alle Tische bei Seite geschoben und der Boden des ganzen Pervisches war spiegelglatt, die Damen standen zu zwei und zwei gepaart zum Tanzen bereit, da ergriff der Musikant die Geige und fiedelte drauf los nach besten Kräften. Hei wie lustig ging das nun her! die Damen wirbelten im Kreise immer lustiger, immer schneller und toller, der Fiedler mußte stets rascheres Tempo nehmen und was ihm sonst schwer war, schien ihm jetzt leicht und er meinte selbst, so rein, so voll und so kräftig wie heute habe er nie gespielt. Dabei kam es ihm vor, als höre er in der Luft ein vollständiges Orchester, was in seine Melodien und Harmonien einstimme und ihn nur als Vorgeiger betrachte. Selbst wenn er glaubte in Dissonanzen gerathen zu sein, deren Auflösung ihm unmöglich schien, entwickelten sich dieselben auf eine wunderbare Weise.

Endlich schlug es drei Viertel vor ein Uhr, die Dame, welche ihn zum spielen aufgefordert hatte, winkte ihm jetzt aufzuhören und plötzlich standen alle Paare still. Sogleich waren Tische und Stühle in die frühere Ordnung gebracht und die Damen ließen sich auf ihre Sitze nieder und erquickten sich am Weine. Der Fiedler stand ganz verlegen da und wußte nicht, ob er bleiben oder weggehen sollte, da trat dieselbe Dame zu ihm und sprach: „Du hast uns eine angenehme Stunde bereitet, empfange nun auch Deinen Lohn!“ In dem sie diese Worte redete, hatte sie ihm das Wamms ausgezogen und nahm ihm dann schmerzlos den Höcker weg.

Ehe sich unser Spielmann von seinem Staunen erholen konnte, schlug Ein Uhr und mit dem Schlage war Alles verschwunden, so daß er Anfangs glaubte, er habe nur geträumt. Allein es war Wirklichkeit. Er tappte vorn und hinten und nach allen Seiten nach dem Höcker, denn er glaubte noch immer, derselbe habe sich durch das kräftige und angestrengte Spielen nur versetzt, doch nein, fort war er für immer und der Spielmann stand da schlank und wohlgebaut, und fast um einen halben Fuß größer, als er vordem war, denn der Hals war zwischen den Schultern hervorgetreten und das Rückgrat hatte sich um einen Wirbel verlängert. Er eilte nach Hause zu seiner Frau, welche ihn im ersten Augenblicke nicht wieder erkannte und mit Entsetzen und Verwunderung das seltsame Erlebniß ihres Mannes vernahm. Es folgte aber noch eine neue Ueberraschung, denn als sie ihrem Manne das Wamms ausziehen half, fand sie, daß dasselbe ganz außerordentlich schwer war, und es ergab sich bei näherer Untersuchung der Taschen, daß dieselben mit blanken Gold- und Silbermünzen gefüllt waren. Dadurch war nun das Glück der armen Spielmannsfamilie begründet.

Eine so ausfallende Metamorphose, wie sie sich bei hellem Tage erst recht zeigte, erregte, wie natürlich, bei Allen, welche den Spielmann früher in seiner Verkrüplung gekannt hatten, das größte Aufsehen. Im Wirthshause, auf Markt und Gassen mußte er oft das ganze Erlebniß erzählen und dies that er denn auch unverdrossen und mit sichtbarem Wohlbehagen und Alle hörten gern zu und freuten sich seines Glückes. Nur Einer von seinen vielen Bekannten war ihm deßhalb neidisch und schelsüchtig. Es war ein Fachgenosse, ein Fiedler, wie er, der sich von ihm nur dadurch unterschied, daß er den Buckel vorn trug, während der andere ihn ehmals hinten hatte.

Sein Neid wuchs mit jedem Tage und wurde noch besonders dadurch bei ihm genährt, daß er glaubte auf der Geige ein viel bedeutenderer Künstler zu sein, als der glückliche Buckelbefreite. Er harrte daher mit Sehnsucht auf die nächste Quatembernacht und erwartete für sein besseres Spiel auch eine größere Belohnung. Mit jedem Tage wurde ihm der Buckel drückender und schwerer, er wußte nicht, daß der Neid auch alle körperliche Gebrechen ausdehnt und vergrößert.

Endlich war die Quatembernacht gekommen und mit dem Glockenschlage zwölf stand er mit seiner Fiedel in der Hand am Pervisch und sah nun mit seinen eigenen Augen genau dasselbe Schauspiel, wie sein Fachgenosse es ihm geschildert hatte. Alsbald forderte eine der Damen ihn zum Spielen auf und er begann die schönsten Weisen, welche er wochenlang eingeübt hatte. Die lustigsten Melodien schlugen ihm aber in Klage- und Trauertöne um und nur langsam und trübselig bewegten sich die Tänzerinnen vom Flecken. Ein gellendes Gelächter, Zischen und Pfeifen erschallte in der Luft, allein der Spielmann hörte es nicht, er bemerkte in seinem Dünkel auch nicht, daß er immer falschere Accorde griff, und fiedelte daher wacker drauf los, bis der Bogen ihm vor Müdigkeit aus den Händen fiel. Da hörte der Tanz auf und keck und dreist näherte sich der Spielmann der Dame, welche am Tische den Vorsitz führte, und erkannte mit großer Verwunderung darin die Frau Bürgermeisterin.

„Ei, ei, gestrenge Frau,“ redete er sie voll Uebermuth an, „was würde wohl der hochweise Herr Gemahl sagen, wenn er wüßte, daß auch sie zu den Besenstiel-Reiterinnen gehörten? doch haben sie jetzt nur die Gewogenheit, mir den Lohn für mein Spiel zu geben, der, wie ich hoffe und erwarten darf, für mich etwas reichlicher ausfallen dürfte, als für den Stümper, welcher den Damen neulich aufgespielt hat.“ Er hatte sich inzwischen Wamms und Hemd ausgezogen und stand, weil es eine kalte Herbstnacht war, schlotternd und zitternd da.

Ohne ein Wort zu sagen, hob die Dame den Deckel von einer silbernen Schüssel, nahm den darin aufbewahrten Höcker seines Gesellen hervor und fügte ihm denselben schmerzlos in den Rücken. Da tönte es Ein Uhr vom Münster her und Alles war im Nu verschwunden. Unser Neidhart stand noch allein da und war nun mit einem doppelten Bollwerk versehen und mußte dann, schwerer beladen, als er gekommen war, nach Hause gehen.

Noch viele Jahre zog er so durch die Straßen der Stadt als ein Warnzeichen für Alle, daß Neid und Dünkel die beschämendsten Strafen verdienen.

Quelle: Dr. Joseph Müller, „Aachens Sagen und Legenden“, Verlag J.A. Mayer Aachen 1858