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Die Hinzenmännchen

Wer in Deutschland und namentlich am Rheine sollte wohl noch nicht von den Hinzenmännchen gehört haben, von jenen kleinen zwergartigen Kobolden, die sich in Städten und Dörfern aufhielten und sich bald neckisch und boshaft, bald hilfreich und gutmüthig gegen ihre Bewohner benahmen? Aachen hatte das Glück, sie fast nur in ihren guten Eigenschaften kennen zu lernen und mit ihnen im besten Frieden zu leben. Nur an ihren Verächtern und an denjenigen, welche ihnen kleine Dienstleistungen verweigerten, nahmen sie Rache und ließen solche ihre Macht fühlen.

Sie hausten hier in dem Thurme zwischen Köln- und Sandkaulthor, der daher der Hinzenthurm genannt wurde. Derselbe war außerordentlich tief und eine Menge Kreuz- und Quergänge führten von hier aus unter die Stadt und weit ins Land hinein. Bei Tage schliefen sie und nur bei der Nacht trieben sie ihren Spuck, hielten Versammlungen, kochten und brieten, zechten und sangen und tranken köstlichen Wein aus goldenen Bechern. Sobald der Morgen graute, erloschen plötzlich die Tausende von Lichtern, welche alle Räume tageshell erleuchtet hatten und es herrschte dort Finsterniß und Schweigen. Das Schlußlied bei ihren Gelagen klang also:

Laßt die Becher kreisen,
Kling, Klang, Kling!
Laßt die Stund uns preisen,
Ting, Tang, Ting!

Was des Tages Scheinen
Trennt, Klang, Kling,
Muß die Nacht vereinen,
Trinkt, Tang, Ting!

Dies Alles hatte ein kühner Geselle, welcher sich eine Nacht im Hinzenthurm hatte einschließen lassen, gesehen und gehört. Nachdem er dies und noch viel mehr einem Freunde erzählt hatte, straften die Hinzenmännchen ihn mit plötzlichem Irrsinn, er stürzte dies Lied singend in den Aachener Wald hinein und man hat ihn nie wieder aufgefunden.

Außer ihren goldenen Bechern hatten die Männlein kein anderes Hausgeschirr, noch Geräthe zu eigen. Sie liehen dies daher, namentlich an den Vorabenden der Quatembertage, an welchen sie große Festgelage zu halten pflegten, bei den Bürgern. Sie kündigten dies am Abende vorher an, indem sie mit dem Geräthe, was sie zu leihen wünschten, ein ganz eigenthümliches Geklirre und Geräusch machten. Die Mägde scheuerten dann die verlangten Töpfe, Tiegel und Kessel von Kupfer, Zinn oder Thon recht blank und stellten sie Abends gegen zehn Uhr an die Hausthüre, dort holten die Hinzenmännchen sie ab und brachten sie in der Nacht nach ihrem Feste noch blanker gescheuert zurück. Auch belohnten sie die Mägde, deren Kessel und Töpfe am saubersten verputzt waren, dadurch, daß sie ihnen zuweilen das ganze Küchengeräth sammt Tischen und Stühlen in einer Nacht silberblank scheuerten. Wo aber die Mägde ihnen unreine Geräthe hinsetzten, da rächten sie sich durch nächtliches Gepolter im ganzen Hause und durch Verunreinigung der Küchengeräthe, der Treppen und Hofräume.

Wenn sie in die Stadt zogen, nahmen sie immer denselben Weg und zwar von ihrem Thurme aus durch die schmale Gasse, welche in die Kölnstraße führt und bis auf den heutigen Tag noch die Hinzengasse heißt. Vor dem großen Hause, der Wildenmann genannt, dem jetzigen Gasthofe zur Kaiserkrone, machten sie dann Halt und vertheilten sich in die verschiedenen Viertel der Stadt.

Einst geschah es, daß im Wildenmann zwei Kriegsleute im Quartier lagen. Dieselben hörten von den Mägden, daß die Hinzenmännchen am Abend Geräthe holen würden, sie lachten und spotteten darüber und meinten, sie wollten die Männlein schon empfangen und ihnen statt der blanken Kessel ihre blanken Schwerter an die Thüre stellen. Dies thaten die ungläubigen Gesellen wirklich und setzten sich sogar gegen zehn Uhr an einen Tisch vor der Thüre und zechten. Gar bald geriethen sie aber in Streit, denn der eine fragte den andern, warum er ihn am Zopfe ziehe, in die Beine zwicke, endlich sogar Nasenstüber gäbe, auch gossen sie ihr Bier nicht mehr in, sondern neben die Becher. Weil sie nicht wußten, daß die Hinzenmännchen all diesen Spuck anrichteten und sie beide zugleich von denselben gezwickt und genasenstübert wurden, so geriethen sie in offenen Kampf und mit dem Rufe Hinzlein! Hinzlein! griffen sie zu den Schwertern, eilten auf den Wall, fingen an zu fechten und in wenigen Minuten fielen beide, indem sie sich wechselseitig durchbohrten, am Hinzenthurm todt zu Boden. Auch hier hatten, wiejeder leicht einsieht, die Hinzenmännchen die Schwerter geführt und sich so an ihren Spöttern gerächt.

Die kleinen Kerlchen hatten aber, wie schon bemerkt, auch etwas Gutmüthiges und Hilfreiches in ihrem Wesen. Sie halfen nicht nur den fleißigen Mägden beim Scheuern und Schrubben, sondern sie unterstützten auch viele Handwerker, wenn sie oft trotz Fleiß und Sparsamkeit nicht so recht auf einen grünen Zweig kommen konnten. Schneider und Schuster, denen sie halfen, hatten nichts weiter zu thuen, als Kleider und Schuhe vorzuschneiden und Abends in die Werkstatt zu legen, dann fanden sie am Morgen die fertige Arbeit und zwar Alles sauber, schön und fest genäht. So hobelten und leimten sie bei den Schreinern, hämmerten und feilten beim Schlosser die feinsten Arbeiten, die man sehen konnte. Sie arbeiteten oft Jahre lang bei einem und demselben Meister, wenn seine Werkstatt sauber war, denn Unreinlichkeit verscheuchte sie. Auch entzogen sie den Handwerkern ihre Beihilfe, wenn dieselben, so bald es ihnen gut ging, üppig wurden und sich dem Luxus ergaben und thörichte Ausgaben machten. In unseren Tagen würden die Hinzenmännchen daher bei sehr vielen Handwerkern nicht lange aushalten, weil sie über ihre Verhältnisse hinaus üppig und hochmüthig sind, selbst wenn es ihnen schlecht geht.

Von den vielen Beispielen, wie hilfreich sich die Hinzlein manchem Aachener Bürger erwiesen haben, will ich nur eines erzählen, was sich bei einem Bäcker zugetragen hat. Derselbe war mitsammt seiner Frau recht fleißig und strebsam, allein ihr Gebäck wollte nie so recht gerathen, bald war es zu hart ausgebacken, bald war es nicht gehörig durchgebacken, die Kunden verliefen sich daher und die Waare blieb unverkauft liegen.

Unter solchen Umständen wäre unser Bäcker nun bald zu Grunde gegangen und verarmt, da nahm sich aber ein Hinzenmännchen seiner an und half ihm backen. Eines Morgens, als er in das Backhaus trat, da sah er mit Erstaunen alles Gebäck fix und fertig, Schwarzbrod und Weißbrod, Wecken, Schermulen und Krennie und zwar Alles so schön gebacken, wie er es noch nie gesehen hatte.

Da merkte nun der Bäcker gleich, daß hier die Hinzenmännchen im Spiele seien, denn so fand er nun fort und fort jeden Morgen die Arbeit gethan und er und seine Frau hatten sich um nichts weiter zu bekümmern, als daß sie Abends im Backhaus Alles zurecht setzten und Morgens das schöne Gebäck auskramten und verkauften. Die Güte der Waaren zog dem Bäcker gar bald eine große Kundschaft zu und er hätte jeden Tag noch mehr Brod verkaufen können, wenn dessen mehr vorhanden gewesen wäre. Daß der Bäcker unter solchen Umständen in kurzer Zeit ein vermögender Mann wurde, versteht sich von selbst. Mit den wachsenden Vermögensverhältnissen trat aber auch die Ueppigkeit ins Haus und die Kleiderpracht der Bäckersfrau fing an dem Hinzenmännchen zu mißfallen. Doch er setzte das Backen mit gewohntem Fleiße fort und wartete auf eine Gelegenheit, wobei er den Leuten den Grund seiner Arbeiteinstellung andeuten könne und diese fand sich bald.

Eines Tages sprach die Frau zu ihrem Manne: „Was meinst Du, wenn wir dem kleinen Hinz, der uns reich gemacht hat, eine Freude machten? Er ist so nackt und blos, ich dächte, wenn wir ihm einen hübschen Anzug machen ließen, es muß uns dabei auf eine Handvoll Thaler nicht ankommen.“ Der Bäcker war damit einverstanden und in der nächsten Nacht belauschten sie das Hinzenmännchen, wie dies schon oft geschehen war, um noch einmal seine Größe genau zu merken und sie dem Schuster und Schneider zur Anfertigung des Anzuges angeben zu können. Sie fanden, daß er genau 2/2 Fuß und 2 Zoll groß war.

Der Auzug wurde bestellt und zwar: ein Paar Stiefelchen von rothem Korduan mit goldenen Borden und goldenen Quästchen, Höschen und Wämmschen vom feinsten, scharlachrothen Tuche nebst einem Käppchen von karminrothem Sammt mit goldenem Saum und goldner Quaste. Als nun Alles fertig war, legten die Bäckersleute es Abends auf einen Mehlsack in der Hausflur, um von der Treppe aus zu sehen, wie der kleine Hinz sich freuen würde.

Zur gewöhnlichen Stunde stellte sich Hinzenmännchen ein und nachdem er die Kleider durchmustert, zog er dieselben an und Alles saß ihm wie angegossen. Er setzte sich dann auf den Mehlsack, klappte mit den Stiefelchen wider einander, rückte sich das Käppchen aufs Ohr und kreuzte die Arme über einander. Des freuten sich der Bäcker und seine Frau gar sehr, allein sie geriethen bald in Unruhe, denn es schien ihnen, als wenn das Männlein sich heute zum Backen nicht anschicken wolle. Da faßte endlich der Bäcker ein Herz und rief ihm zu: „Wie Hinzchen, arbeitest Du heute nicht?“ Lachend sprang der Kleine vom Sack und sagte:

„Ich nun ein Herrlein bin
Ich nicht mehr wirken will“

Und verschwunden war er und kam nicht mehr wieder.

Quelle: Dr. Joseph Müller, „Aachens Sagen und Legenden“, Verlag J.A. Mayer Aachen 1858