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Roland Schildträger

Einst saß Kaiser Karl zu Aachen mit seinen Paladinen bei einem Festmahle froh zusammen. Es dufteten die leckersten Speisen in silbernen Schüsseln und der köstlichste Wein perlte in goldnen Bechern, herrlich glänzte der Saal in wahrhaft Kaiserlichen Schmucke mit Smaragden und Demanten, Rupinen und Topasen, deren Glanz und Schimmer die Ritter priesen. „Wir besitzen manches Kleinod,“ sprach dann Karl, „doch das schönste und köstlichste auf der Welt trägt in seinem Schilde ein wilder Riese im Ardenner-Walde, dies Kleinod fehlt uns noch!“ Kaum hatten die Ritter dies vernommen, da entbrannten sie voll Lust zum Kampfe und waren beseelt von dem sehnlichsten Wünsche, dem Kaiser dies Kleinod zu erwerben. Es waren ihrer sechs an der Zahl: die Herzoge Milon von Anglante, Naims von Baiern und Heimon, dann die Grafen Richard und Garin und der Erzbischof Turpin. Sie beurlaubten sich beim Kaiser und ritten wohl bewehrt allsammt in den Ardenner-Wald, um den Riesen zu entdecken und den Strauß mit ihm zu wagen. Der junge Roland, des Milon Sohn, bat seinen Vater inständigst, ihn zu dieser Fahrt doch mit zu nehmen, er wolle ja nicht mit dem Riesen kämpfen, sondern dem Vater nur Schild und Speer nachtragen. Milon gewährte die Bitte und Roland zog mit hinaus.

Als unsere Ritter in den Ardennen angekommen waren, trennten sie sich, denn jeder sollte einzeln den Riesen in Klüften und Schluchten aufspüren und auf ihn Jagd machen. Bereits waren vier Tage entschwunden ohne das sie nur die Spur desselben erspähet hatten. Herr Milon war sehr ermüdet, er legte sich daher zur Mittagsstunde in den Schatten einer Eiche und schlief ein, unterdeß Roland bei ihm Wache hielt. Nun währte es nicht gar lange, da sah dieser ein gewaltiges Blitzen und Leuchten, wie er es zuvor noch nie gesehen hatte und gar bald merkte er, daß der wilde Riese von einem Berge niederstieg und all die Lichtstrahlen von dessen Schilde herkamen. Roland wußte Anfangs nicht recht, was am Besten sei, ob er den Vater wecken oder schlafen lassen, oder selbst auf den Riesen losgehen sollte. Doch endlich fand er es Unrecht, den guten Schlaf des Vaters zu stören, er gürtete sich daher dessen Schwert um, nahm Schild und Speer, schwang sich auf Milons Roß und ritt dem Riesen muthig entgegen. Als dieser des Jünglings ansichtig wurde, blieb er stehen und rief ihm lachend und höhnend zu: „Was willst Du denn, Du kleiner Fant auf hohem Roß, beliebt's mit mir zu streiten?“ und indem er dies sprach, holte er mit einer gewaltig langen und dicken Stange gegen Roland aus.

Behende wich dieser dem Schlage aus und schleuderte mit aller Kraft den Speer gegen ihn, allein der traf des Riesen Schild, von dem er in Splitter zurückprallte. Da faßte Roland rasch mit beiden Händen das breite Schwert und schlug dem Unhold, ehe der in seiner Schwerfälligkeit das seinige aus der Scheide ziehen konnte, die linke Hand ab, die den Wunderschild trug und Hand und Schild flogen weit weg in das Gras. Mit dem Verluste seines Talismannes verlor der Riese Muth und Kraft, er strengte sich an, den Schild mit der rechten Hand zu ergreifen, allein Roland stach ihn dermaßen ins Knie, daß er zusammenstürzte, schlug ihm dann mit Einem Hiebe das Haupt herunter und ein gewaltiger Blutstrom entquoll dem riesigen Rumpfe. Hierauf brach er das kostbare, hellleuchtende Kleinod aus des Riesen Schild und barg es sorgsam in seinem Wammse. An einer Quelle wusch er dann sich selbst, sowie die Waffen vom Blute rein und ritt zum Vater zurück, den er noch schlafend fand, wie er ihn verlassen hatte. Nach solcher Arbeit war Roland auch etwas müde, er legte sich daher neben den Vater und schlief ein.

Nach kurzer Rast weckte ihn Milon. Sie stiegen zu Roß, um das Abenteuer zu vollenden. Gar bald kamen sie an den Ort, wo der erschlagene Riese lag. Als Milon den gewaltigen Leichnam sah, ärgerte es ihn, so lange geschlafen zu haben, derweil ein Anderer den Ruhm davon getragen, den Unhold getödtet zu haben. Roland stand verwundert da, denn es lag nur noch der Rumpf am Boden. Der Kopf, die abgehauene Hand, sowie Schild und Schwert und Stange waren verschwunden.

In Aachen harrte Karl mit Spannung und Ungeduld der Heimkehr seiner Helden. Eben stand er wieder vor dem Schlosse und schaute in die Weite und siehe! da reitet Herzog Heimon heran, er trug des Riesen Haupt auf seinem Speere. So wie es war, mit Blut bedeckt, legte er es dem Kaiser zu Füßen und sprach: „Hier bringe ich Dir des Riesen Haupt, wie ich es im Walde neben seinem Rumpfe fand, wer ihn erschlug, das weiß ich nicht.“ Der Erzbischof Turpin brachte die abgehauene Hand, die noch im Handschuh steckte und erklärte, dieselbe eben dort gefunden zu haben.

Herzog Naims trug des Riesen Stange, Graf Richard dessen Panzer und Schwert, Graf Garin den Schild, allein das Kleinod, welches denselben geschmückt hatte, war ausgebrochen. Alle bedauerten des lebendigen Riesen nicht ansichtig geworden zu sein. Endlich kam Herzog Milon und hinter ihm ritt Roland mit des Vaters Schild und Speer.

Als sie nun in der Nähe des Pallastes kamen, brach Roland den Zierrath aus Vaters Schild und setzte an dessen Stelle das kostbare Kleinod des Riesen. Das gab ein Funkeln und ein Leuchten, daß der Kaiser mit sammt allen Rittern staunten und ausriefen: „Heil Dir, Milon von Anglante, Du bist der Held, der den Riesen bezwang und uns das kostbare Kleinod heimführte!“ Herr Milon wußte nicht wie ihm geschah und war verlegen und verwirrt ob der Begrüßung und noch mehr wegen des Leuchtens, welches er von seinem Schilde ausströmen sah. Mit wachsendem Erstaunen rief er daher seinem Sohne zu: „sag an, wer gab das Kleinod Dir?“ Drauf neigte sich der junge Held und sprach: „Herr Vater, wollt mir drob nicht grollen, ich selber habe den Riesen zerstückt, indeß ihr unter der Eiche ruhig schliefet!“ Dem Kaiser gefiel das kühne Unternehmen des jungen Roland und lächelnd sprach er zu ihm:

Du hast ein gut Stück Werk gethan,
Deß mußt Du große Ehre han,
Drum sollst Du mir ein Ritter sein!
Schlag fürbaß so wie heute drein!

Quelle: Dr. Joseph Müller, „Aachens Sagen und Legenden“, Verlag J.A. Mayer Aachen 1858