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Der Schlangenkönig von Lübbenau

  Büsching IV. 342. O. u. N. L. Chronik. S. 31. N. L. M. Bd. 36. S. 165. ff.

Das ehrwürdige alte Schloß von Lübbenau, das schon seit dem 15. Jahrhunderte steht, gehört den Grafen Lynar, welche aus Toskana in Italien stammen. Auf dem Schlosse findet sich noch das Bild eines alten Ritters, zu dessen Häupten die Worte stehen: „mit deme Grave Roch in Deutschland kommen.“

Die gräfliche Familie führt im Schilde eine gekrönte Schlange mit einer Mauer, und wüßte Niemand weswegen und auch nicht woher die Grafen so reich sind, da sie doch ganz arm nach Deutschland gekommen sind, wenn es nicht das gemeine Volk dasiger Gegend aus dem Munde seiner Ahnen erfahren hätte und weiter erzählt von Kind zu Kindeskind.

Es sind aber um Lübbenau in den vielen hundert Armen der Spree viele Wasserschlangen, thun den Menschen nichts, nur daß sie manchmal den Kühen die Milch aussaugen, wovon sie in Lehda und Leipa zu erzählen wissen. Früher soll es dort sogar geflügelte Schlangen gegeben haben; die hat aber seit Menschengedenken keiner mehr gesehen. Aber das ist gewiß, daß ihrer in jedes Haus ein Paar gehört, ein Männlein und ein Weib lein, die sich aber nicht eher sehen lassen, als bis der Hausvater oder die Hausmutter stirbt, und ein alter Mann hat es selber gesehen, als seine Mutter gestorben war, wie Tags darauf früh eine lange todte Schlange auf dem breiten Steine vor dem Hause gelegen hat. Diese Schlangen hatten früher einen Schlangenkönig, eine sehr große, starke und lange Schlange, die hatte auf dem Kopfe zwei gebogene Haken, damit trug sie eine elfenbeinerne Krone. Diese Krone war aber von unschätzbarem Werthe und war in ihrer Art einzig und erbte immer von einem Schlangenkönige auf den andern.

Als nun der erste Lynar nach Deutschland und in die Oberlausitz kam – denn er war aus Italien ausgewandert wegen eines Bürgerkrieges – da hörte er das Alles, und weil er ein kühner und schlauer Mann war, beschloß er, sich der Krone des Schlangenkönigs zu bemächtigen. Er wußte aber, daß der Schlangenkönig, wenn er mit seinen Genossen im Sonnenscheine spielen wollte, die Krone ablegte, und zwar gern auf reinliche und weiße Sachen, breitete daher an einem schönen Maitage auf einem grünen Platze, da wo jetzt das Schloß steht, ein feines, weißes, großes Tuch aus, und versteckte sich nicht weit davon hinter einem Erlengebüsche an der Schnecke, aber weislich zu Pferde, wenn ja die Gefahr groß sein sollte. Und da kam richtig der Schlangenkönig und mit ihm ein großes Gefolge von Schlangen, und da legte richtig der Schlangenkönig seine Krone auf das weiße Tuch, schlängelte sich dann hinauf auf den Berg, wo jetzt die Eisgrube ist, und alle seine Gesellen mit ihm und begannen zu züngeln und zu spielen im Sonnenscheine, daß es gar lustig anzusehen war. Der Ritter aber reitet sachte herbei, faßt das Tuch mit der Krone an allen vier Zipfeln zusammen und giebt dem Rosse die Sporen. Augenblicklich hört er ein helles Pfeifen und da schießen die Schlangen vom Berge herab und rechts und links aus dem Wasser in unzähliger Menge, und alle hinter ihm her wie feurige Blitze, und kommen ganz dicht an ihn. Da kommt der Ritter an eine große Mauer, die ist quer vor ihm und kann nicht weiter, und die Schlangen immer auf seinen Fersen. Aber da macht das treue Thier einen verzweifelten Sprung und der Ritter kommt glücklich hinüber und ins Freie. Es sind aber unermeßliche Schätze gewesen, die er mit der Krone davon getragen hat, und hat davon die Herrschaft Lübbenau gekauft und nicht weit von der Stelle, wo er den Schatz erobert, das Schloß erbaut. Den Schlangenkönig aber und jene Mauer nahm er in sein Wappen auf.

Seitdem aber der Schlangenkönig seine Krone verloren, hat sich die Anzahl der Schlangen vielfach gemindert. Folgendes jedoch hat sich zu unserer Großväter Zeiten zugetragen. Ein Fischer, der vor vierzig Jahren noch lebte, fischt in einem alten mit Weiden bewachsenen Graben unweit des Schlosses an der Schnecke, und zieht im Netze zu seinem großen Erstaunen eine große, große Schlange mit etwas Weißem auf dem Kopfe heraus. Und wie es dort die Leute zur Gewohnheit haben, daß sie jede Schlange tödten, wo sie sie finden, so sticht er auch diese mit seiner Rudel an. Aber diese erhebt ein helllautes Pfeifen und augenblicklich ist der ganze Graben schwarz von Schlangen, die sich an seiner Rudel in die Höhe schwingen und sich in seinen Kahn drängen, der aus einem einzigen Eichenstamme ausgehöhlt war, dergleichen dort die Fischer brauchen. In Angst und Schrecken springt er aus dem Kahne aufs Land, aber die Schlangen sind immer hinter ihm her. Zum Glück fällt ihm ein, seine Jacke auszuziehen und von sich zu werfen. Auf diese stürzen sich die Schlangen wie rasend und er entkommt. Die Jacke aber fand man nach mehren Tagen in dem faulen Graben durch und durch zernagt, eine Warnung, wie es ihm ergangen sein würde, wenn sie ihn erwischt hätten. Er hat sich auch seitdem wohl gehütet, die unschuldigen Thiere zum Vergnügen zu tödten.

Die große Schlange aber ist der Schlangenkönig gewesen und das Weiße an seinem Kopfe die Haken, woran er früher die Krone trug, ehe sie der erste Lynar erbeutete. Ob der Schlag des Fischers ihn getödtet hat, weiß man nicht. Gesehen worden ist er seit der Zeit nicht mehr und die Schlangen vermindern sich auch von Jahr zu Jahr.

Anmerkungen: Etwas anders wird die Sage erzählt im Kottbusser Wochenblatte 1859 No. 81. Dort ist ein Kaufmann der Kronenräuber, die Lynar aber sind Freunde der Schlangen. Vgl. N. L. M. Band 37. S. 499.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862