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Die heilige Maria von Rosenthal (Haupt)

  Tic. epit. hist. Rosenth. p. 69. 
  Sinauty, St. G., S. 100 u. 167.

Als Kaiser Karl der Große mit seinen Mannen die Lausitz durchstreifte, um den Götzendienst der Wenden zu zerstören und die Heiden zu Jesu Christo zu führen, da kam er auch in die Gegend an den Quellen der Elster. Da, wo jetzt Rosenthal liegt, schlug er ein großes Lager auf und verweilte allda etliche Monden. Die Mauern, mit denen er dasselbe befestigte, sind noch heutigen Tages zu sehen. Er hatte aber sein Heer unter den besonderen Schutz der heiligen Jungfrau Maria gestellt und die heilige Jungfrau war allezeit bei dem Heere und umwandelte täglich das Lager, angethan mit einem langen, weißen Gewande. Und wenn die Krieger sie erblickten, warfen sie sich zur Erde und beteten sie an. Sie hatten aber auch ein heiliges Bild der Mutter Gottes bei sich, und als sie fortzogen aus dieser Gegend, da ließen sie das Bild daselbst und verbargen es in dem Walde, den die heilige Jungfrau durch ihre Gegenwart geheiligt hatte. Aber seitdem sah man oft eine weiße Jungfrau den alten Lagerplaz umwandeln.

Viele Jahre vergingen, da kam ein frommer Ritter Namens Lucianus von Sernan in diese Gegend, der sah einst auf der Jagd die weiße Frau von fern und ihre himmlische Schönheit bezauberte fein Herz. Er spornte fein Roß, um sie zu erreichen; aber sobald er sie erreicht zu haben vermeinte, so war die Erscheinung wieder in weite Ferne gerückt, bis sie endlich an einer Linde urplößlich verschwand.

Aber aus einer Höhlung des Baumes, umrahmt von grünen Blättern und duftenden Blüthen, leuchtete dem Ritter das Bild der Gottesmutter entgegen. Als dieses Wunder ruchbar wurde, wallfahrteten die Leute in großer Menge zu dem Bilde und das Bild that unzählige Wunder und ihm zu Ehren ward dicht neben der heiligen Linde die Kirche zu Rosenthal erbaut, die bis auf den heutigen Tag zum Kloster Marienstern gehört. Das Bild selbst aber hat eine dunkelbraune Gesichtsfarbe und ein Gewand mit eingewebten Lilien.

Anmerkungen:

1. Weder Karl der Große noch einer seiner Feldherren kam wahrscheinlich je in diese Gegend. Auch stimmt die Geschichte wenig damit, daß Karl bekanntlich in seinem Heere keinen Bilderdienst duldete. Hielt er doch selbst 794 zu Frankfurt am Main eine Synode zur Abschaffung des Bilderdienstes, schrieb er doch sogar Bücher gegen diesen Mißbrauch. Ja, eine andere Nachricht bezeugt, daß erst im nachreformatorischen Zeitalter (1557) das Gnadenbild von Göda aus nach Rosenthal gebracht wurde. Wohl aber knüpft die Sage an die uralte Heiligkeit jener Gegend an. Die noch heute sichtbaren Trümmer rühren von einem heidnischen Opferplatze her.

2. Die bei hellem Tage das Lager umwandelnde weißgekleidete Maria hat frappant die Züge der heidnischen Mara (vgl. I. 8). Gewiß ist es, daß die Aehnlichfeit des Namens die Christianislrung des Maradienstes zum Mariendienste erleichterte. In einem Lande, wo das Heidenthum so weit hineinreicht in die neue Zeit, ließe sich diese Deutung sogar vereinigen mit dem jüngeren Alter des Bildeg. Gewiß ist, daß Rosenthal seinen Namen hat von der Maria, der die kole geweiht war, mag diese Namengebung nun mit einem alten Rosenthaler Bilde zusammenhängen oder auch von dem 1264 gegründeten Kloster Marienstern aus geschehen sein. Maria aber war auch Beschützerin der Linden. Das Bild wurde in einer Linde gefunden, diese wird noch heute heilig gehalten. Ein oft wiederfehrender Zug. Bei Ostritz ist eine Lubmühle, bei Ostro ein Wiesenthal, genannt die Lippe. Lipa heißt slavisch die Linde, ist aber jedenfalls etymolog verwandt mit luba, der slavischen Göttin der Liebe, die bei Lübben verehrt worden sein soll. Löbau heißt noch heute im Volk, die „Liebe“. Die Gründung dieser Stadt wird auch auf die Auffindung einer von einer Fee beschützten Quelle zurüdgeführt. Ob dieses Löbau von der Liebesgöttin oder von der Linde so heißt, ist gleichgültig, beide sind in der Idee eins. Die Linde ist Symbol der Feuchtigkeit, des weiblichen, gebärenden Naturprinzipe. Linde heißt provinziell feucht. Aber die Linde ist auch Todtenbaum, der auf Kirchhöfen gepflanzt wird, ein Symbol der Finsterniß (daher auch der Name Lindwurm). Dies führt auf die Vermuthung daß sich in den lausitzlichen Mariendienst auch Elemente des Kultus der Todesgöttin Mara, die im Namen ja so verwandt mit Marien ist, eingeschlichen haben, und wenn Mara Pestgöttin ist, so denke man nur daran, daß die Pest in einer Sage in eine Linde verzaubert wurde, um auch hier die Spur einer Verknüpfung zu haben. Dies wird bestätigt dadurch, daß das Mariensterner Marienbild eine Maria fusca, eine braune Maria vorstellt und erklärt zugleich, warum soiche braune, ja schwarze Marienbilder besonders von slavischen Nationen verehrt wurden. Diese Doppelnatur der Mara und fast aller weiblichen slavischen Gottheiten, dieses polarische Wesen, bei dem jeder Pol oft plötzlich in sein Gegentheil umschlägt, dieses Wechselvolle, Mondverwandte, hat seine psychologische Erklärung in der weiblichen Natur überhaupt und findet sich auch in andern Mythologien. Aber gerade die slavischen Nationen sind stark darin, entgegengesetzte Naturen unorganisch in einer Person zu vereinigen. Liebe und Zerstörung, Leben und Tod fonzentriren sich im Geheimniß der weiblichen Natur, die bei untergeordneten Geschöpfen stirbt, indem sie das Wert der Liebe, die Neugeburt vollbringt. Die Pflanze stirbt, wenn sie die Frucht gefördert hat. Ja das Werk der Liebe trägt die Zerstörung bis zum Tode über auch auf die männliche Natur. Wer hätte nicht von jenem Schmetterlinge gehört der im Zeugungsafke den Tod findet, wer kennt nicht die schöne Sage von der Nachtigall, die im Entzücken der Liebe sich singend am Dorne den Selbstmord giebt, ja wer fühlte es nicht, daß Leben, Liebe und Tod eine Dreiheit und eine Dreieinigkeit bilden, in der der teufslische Haß seinen Platz hat? Wie sein Leben hervorgebracht wird ohne die Liebe, so auch seines ohne relativen Tod und durch den leiblichen Tod das höchste Leben. Wie die Liebe allein das wahre Leben ausmacht und sein letzter Endzweck ist, so ist aus Liebe zu sterben das höchste Glück und der höchste Liebestod, der Tod auf Golgatha das höchste Glück der Welt. So liegen auch in den mythologischen Beziehungen des finstern Heidenthums oft die Symbole der höchsten christlichen Ideen wie in vorsündfluthlicher Präformation versteckt.

3. In Bezug auf die eben erwähnte mystische und begriffliche Trias bin ich sogar geneigt, eine weitere Konsequenz zu ziehen. Unter allen mythologischen Spuren, die wir bisher gefunden, zeichnen sich durch Deutlichkeit wie durch Anzahl besonders die aus, welche auf eine weibliche Hauptgottheit der Slaven hindeuten, die bald den Namen Siba führt, bald Luba, bald Mara heißt. Wer sich die Mühe geben will, diese Spuren zu vergleichen, wird finden, daß Siba einfach Symbol des Lebens, der Fruchtbarkeit, der gebärenden Natur ist (zywy = lebendig, zyto = Frucht, Getreide), während Mara die Nachtseite oder mindestens die polarische Seite des weiblichen Prinzips, und mithin auch den Tod repräsentirt. Die Luba schließlich hat zwar viele Reliquien in Ortsnamen (wobei zu gestanden werden muß, daß hier gerade die Etymologie großen Schwankungen unterworfen ist), aber gerade von ihr finden sich fast keine persönlichen charakteristischen Merkmale. Wenn wir daher die in jener idealen Trias noch offene Stelle der Liebe durch dieses Idol ausfüllen, so steht dem nicht nur nichts entgegen, sondern es liegt auch in der unverkennbaren Namensverwandtschaft eine nicht abzuweisende Aufforderung dazu.

4. Ueber die Namen Mara u. Maria u. ihre mögliche Verwandtschaft ist Nachfolgendes anzuführen:

a) die Ableitung des hebräischen Namens Maria (…) ist schwankend. (…) heißt bitter und ungehorsam, daher die fatholische Kirche in ihren Predigten, Liedern, Bebeten diese Bedeutung ironice und antiphrastice gewissermaßen als eine prophetia incontrarium auffaßt und die Jungfrau Maria als die „Gehorsame“ und die „Süße“ feiert, im Gegensatz zu Eva, wie auf der Hand liegt.

b) In der lateinischen Kirche wurde frühzeitig die Namensähnlichkeit mit dem Worte mare, Meer ausgebeutet. Schon bei Ephraim heißt Maria mare dulcedinis, Meer der Süßigkeit, und mare obedientiae, Meer des Gehorsams, wobei also die hebräische Bedeutung von (…) mit hineinspielt. Diese Zusammensetzung soll übrigens nach manchen Etymologen schon im Namen der Maria (oder Mirjam ) liegen, indem die letzte Silbe (…) auch Gewässer, Meer bedeutet. Maria und maria, die Meere, wird oft im poetischen Spiele zusammengestellt, z. B. in dem Hymnus: Congregavit Deus aquas / Sacro spiritu afflatas / Et vocavit Maria. Besonders häufig findet sich aber die Benennung: stella maris, Stern des Meeres. Vergl. die von Mohne gesammelten Marienlieder. 1859. j. B. p. 216: Ave maris stella / Dei mater alma. oder das befannte: Stella maris est Maria, / Stellam maris invoca. / O Maria! / Semper dulcis, semper pia. (Simrod: Lauda Sion p. 260); oder das deutsche von Sebastian Brandt: Ave, durchleuchte / Stern des Meeres / Ohn feuchte / Empfangen / Augegangen / Den Heyden / Zu Froyden. (Bei Hoffmann. Deutsche Kirchenlied I. p. 149.) Diese Uebersetzung des Namens Maria hat aber feinen Grund in der Etymologie, sondern ist einfach von der heidnischen Venus abzuleiten, deren Attribut, der Morgenstern, auf Marien überging und christlich dahin gedeutet wurde, daß Maria Christo voranges gangen, wie der Morgenstern der Sonne 1). So erklärt sich, wie das Kloster Marienstern im Volksmunde auch Morgenstern heißt, ohne daß man dabei eine bewußte Beziehung auf die Gründungsage annehmen müßte.

c) Viel näher dürften wir aber der wahren Bedeutung des Namen: Maria kommen, wenn wir den Namen ableiten von To gutta, Tropfen und O, Meer; dann hieße Maria soviel als Meerestropfen, gutta maris. Diese Silbe mar scheint eine Ursibe zu sein. Die Reduplikation marar bedeutet im Arabischen „fließen„. Von ihr kommt so wohl das lateinische mare als das lateinische mors, und wenn diese Silbe, wie sich aus einer Zusammenstellung vieler Worte der indogermanischen Sprachen ergeben würde, sich zurüdführen läßt auf die Bedeutung „herauefließen“, „ausgehen“, so ist darauf aufmerksam zu machen, daß in dieser Bedeutung die polarischen Gegensätze des oriri und exire, der Geburt und des Todes in gremio beisammen sind, daß das Meer zwar von Homer das unfruchtbare, von Herodot aber auch das Symbol der Erzeugung genannt wird, daß das Wasser und der Wasserverwandte Mond in der Mythologie jene dem weiblichen Geschlecht eigenen polarischen Gegensätze bereinigt, wie wir sie bei der Mara entdeckt haben, daß der Name der Maria = Meerestropfen zwar an sich dazu feine Beziehung hat, sondern einfach ein orientalisches Schmeichel- und Schönheitswort ist, in der Ursilbe aber doch eine Verwandtschaft mit dem Symbol des Wassers als des weiblichen Prinzips enthält.

5. Zu Th. I. No. 8. Anm., No. 68. Anm. 3. und No. 47. Anm. 2. ist daher noch zu ergänzen, daß der Name Mähre als Alp (murava) und Pferd und die Bedeutung des Pferdes als eines das fließende Wasser symbolisrender Thieres durch die Bedeutung der Silbe mar in näheren Zusammenhang gebracht werden. Ferner ist zu bemerken, daß die Wenden für die Todtenbahre oder Todtenleiter, die man an der Dorfgrenze verfaulen läßt (vergl. Th. II. No. 92. Anm. 8), das Wort mary haben. Endlich ist es vielleicht auch mehr als bloßer Zufall, daß das Kloster Marienthal im Wappen ein Kreuz hat, in dessen vier Feldern die Buchstaben m – o – r – s stehen; mors = der Tod. Ein älteres Wappenzeichen von Marienthal soll indessen das abgestumpfte Kreuz, ein T sein, welches bekanntlich im heidnischen Norden Thors Hammer bedeutete, ein Heils -, Lebens - und Auferstehungszeichen war und das Symbol der Freimaurer geworden ist. Welche besondere Bedeutung dieses Zeichen vielleicht für das Marienthaler Kloster haben könne, ist mir dunkel.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862


1)
Im Munde der benetianischen Gondoliere aber, die gewöhnlich angeführt werden, wenn von Maria dem Meeressterne die Mede ist, bedeutet Marienstern den Stern Rastor oder die Zwillinge, die Diosturen, deren Patronat über die Schiffer auf Marien überging.