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Der arme Mann

  Mündlich von Maurer Zach in Bomsdorf; 
  außerdem mit den in Klammern gesetzten Abweichungen von einem jungen Manne in Henzendorf

Zwischen Göhlen und Henzendorf giebt es viele Seen. Ein armer Mann aus Henzendorf sprach in der heiligen Osternacht1) (n. a. Pfingstnacht) zu seinen Kindern: „Kommt, kommt Kinderchen, wir wollen uns ein paar Fische fangen gehen, daß wir uns auch die Kuchenrändchen in die Fischtunke tauchen können.“ Dann gingen sie (in den „großen See„) fischen und als sie fischten, war der Mann auf einmal ruhig und sagt : „Kinderchen, was ist das nur? Drüben „dammert“2) es ja so! Bleibt mal hier beim Netze, ich werde über den Berg hinüberlaufen und nachsehen.“ Die Kinder saßen die ganze Nacht beim Netze und weinten und schrieen.

Am ersten Osterfeiertag früh kam er über den Berg hinweg, ganz entsetzt, die Haarestanden ihm zu Berge, und weiß war er wie eine Halfwand. Dann wickelte er sein Netz zusammen und sagte: „Kommt, Kinderchen, kommt; das sage ich euch, geht in solch einer heiligen Nacht nicht fischen!“ Als er nach Hause kam, legte er sich sogleich hin und den dritten Tag war er tot.

Er hat nicht gesagt, was ihm begegnet ist, bloß dem Pastor, der ihm das Abendmahl gab, hat er es erzählt. Beim Nachhausefahren fragte der Küster den Pastor darnach. Dieser aber sprach: „Wenn diese Steine reden, dann werde ich auch reden.“

Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894


1)
Nacht vor dem Feste.
2)
Ein unbestimmtes Geräusch, das dem Hörer wie ein entferntes Sprechen erscheint.