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Das traurige Engelchen

  Von Frau Becker aus Jetzschko, welche die Sage von ihrer Großmutter in Schenkensdorf gehört hat. 
  Schriftlich durch Lehrer Becker in Luckau

Es war einmal eine Mutter, der starb ihr einziges Kind. Darüber mußte sie immer weinen. Einmal war sie auf dem Felde und sie weinte wieder. Da sah sie plötzlich eine ganze Schar lieblicher Engel über sich hinfliegen, alle jung und schön, alle lustig und fröhlich. Jetzt dachte die Mutter: Ach wenn doch mein Mind auch so ein Engelchen wäre! und sah immer, ob sie es nicht in der Schar finden würde. Aber es war nicht zu sehen. Ganz hinten nach kam noch ein Engelchen, so traurig, und hatte einen schweren Krug in seinen Händchen. Das war der Mutter Kind.

Die Mutter fragte: „Mein Mind, warum bist du nicht bei den fröhlichen Engelchen?“ - „Ja, Mutter,“ sprach es, „ich muß, solange du weinst, deine Thränen sammeln und solange kann ich nicht fröhlich sein wie die andern.“

Von der Stunde an weinte die Mutter nicht mehr.

Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894