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Gestörte Ruhe der Toten

  Mündlich von einer Waschfrau in Guben

I

Bevor nicht vier Wochen nach dem Tode eines Verstorbenen versflossen sind, soll man von seinen Sachen nichts fortgeben. Solange schwebt der Geist umher, hernach erst kommt er zur Ruhe. Giebt man irgend etwas schon früher weg, so kommt der Tote und will es wiederhaben. Er läßt den, der die Sachen verschenkt hat, nicht eher Ruhe, bis diese in das Sterbehaus zurückgebracht sind oder die Frist verstrichen ist.

II

Als einer Frau in Grocho die Großmutter gestorben war, verschenkte sie das Tuch, mit welcher man der Toten die Kinnladen zusammengebunden hatte, und die Schuhe an ihre Schwiegermutter. Da kam die Verstorbene wieder und sagte: „Mädel, bist du denn nicht gescheit, wie kannst du denn meine Sachen weggeben; ich habe ja keine Ruhe im Grabe!“ Dann holte die Frau die Sachen der Großmutter wieder zurück.

III

Da die Schwester der Frau Br. in Guben starb, teilten sich die Hinterbliebenen schon nach einigen Tagen die Sachen der Verstorbenen. Darauf kam diese wieder. Namentlich der Mutter, die in der Kammer schlief, ließ sie keine Ruhe; sie zog ihr fortwährend das Bett weg. Frau Br. hatte ein Bett bekommen und dasselbe auf ihrem Boden an einer Stange festgebunden. Am andern Morgen lag es unten.

Quelle: Niederlausitzer Volkssagen vornehmlich aus dem Stadt- und Landkreis Guben, gesammelt und zusammengestellt von Karl Gander, Berlin, Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft, 1894