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Der Sibyllenstein bei Elstra

  N.-L. Monatsschrift 1796. I. 7. II. 218. 
  N.-L. Magazin 1830. 63. O. u. N.-Laus. Chronik. S. 87.

Der Hochstein, Sibyllenstein oder Sibinnenstein, liegt eine Stunde südlich von Elstra, auf einem 1405 Fuß über der Meeresfläche erhabenen, sehr bewaldeten Berggipfel und besteht aus einer 50 Fuß hohen und gegen 160 Fuß langen Schicht großer Granitblöcke, die zwei Hauptkuppen bilden.

Die eine davon heißt der Tanzplatz, die andere ist der eigentliche Hochstein mit großer Felsenplatte, in welche drei ungleiche kesselartige Vertiefungen eingearbeitet sind, welche das Volk des Teufels Viertel, Metze und Mäßchen nennt. Darin, sagen sie, mißt der Teufel denen nach, welche falsches Maaß führen. Der Fels war einst viel höher, er ist aber wegen der zunehmenden Sündhaftigkeit der Menschen eingesunken. Zwischen dem Hochsteine und dem Tanzplatze ist eine Kluft, die Sibyllenhöhle genannt; dort führt eine geheimnißvolle Thüre in den Berg hinein. Ein Mann fand sie einst offen stehen und sah in einem weiten Gemache eine Frau, die sich die Haare kämmte. Gegen Morgen vom Hochsteine fließt eine schöne reine Quelle, deren Boden von den Glimmerblättchen des Granits freundlich glänzt. Dort wuschen und badeten nach uralter Sitte die Einwohner der Dörfer Kindisch und Rauschwitz am Ostermorgen sich und ihr Vieh, weshalb sie dieselben oft Tages vorher abdämmten, so daß der Fußsteg zwischen beiden Orten nicht passirt werden konnte.

Anmerkungen: Der Name des Steins erinnert an die wendische Göttin der Liebe, des Glücks und der Fruchtbarkeit, Siba oder Siva, der Stein selbst, sowie der Tanzplatz und die heiligen Waschungen an ihren Dienst und das Weib mit den aufgelösten Haaren an das Bild der Göttin selbst, welches bei Helmold I. c. 52., Albinus, Meißn. Chron. XI. p. 301. und im Chron. Saxon. f. 754. beschrieben wird als ein schönes, nackendes Weib, die Hände auf dem Rücken, in der einen einen goldenen Apfel, in der anderem eine Weintraube mit einem großen Blatte, die Haare lang herabhangend bis auf die Waden. Die Waschungen sollten Fruchtbarkeit erzielen.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862