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Zwei Äpfel und drei Federn des Greif

  Gross-Döbern

Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne; der jüngste von diesen hiess Hans, er wurde aber stets, weil er für dumm galt, der dumme Hans genannt. Nun begab es sich, dass der König krank wurde. So viel Mittel er auch anwandte, um gesund zu werden, nichts half. Da hörte er, dass er durch drei Federn vom Vogel Greif und zwei Aepfel aus dessen Garten genesen könne. Sobald er dies gehört hatte, wollte er einen von seinen Söhnen aussenden, welcher ihm die drei Federn und zwei Aepfel holen sollte. Der dumme Hans erbot sich sofort dazu, aber die beiden ältesten Brüder verlachten und verspotteten ihn, dass er sich an solch eine Aufgabe machen wolle. An seiner Stelle zog der älteste der Brüder aus. Als er unterwegs durch einen Wald ritt, kam er an eine Schenke in welcher er einkehrte. Dort fand er lustige Gesellschaft; bald hatte er sein Pferd und die dreihundert Thaler welche ihm sein Vater mit auf den Weg gegeben hatte, verspielt. Ja, er machte noch obendrein Schulden und musste deshalb in der Schenke bleiben.

Als er nicht wiederkehrte, schickte der König seinen zweiten Sohn aus. Der kam auch glücklich bis an die Schenke in dem Walde, dort wurde er aber von seinem Bruder angerufen, kehrte ein und verspielte gleichfalls Alles was er hatte. So geschah es denn, dass auch der zweite Sohn nicht wieder kam. Da sandte der König den dummen Hans aus. Der kam auch an die Schenke im Walde, kehrte aber daselbst nicht ein, soviel ihm auch die Brüder zuriefen und zuwinkten, sondern zog weiter. Darauf kam er in eine Stadt, in welcher er Alles voll Trauer fand; überall sah er die Häuser mit schwarzem Flor behangen. Als er nach der Sache der Trauer fragte, sagte man ihm, dass ein Brunnen, welcher für die ganze Stadt Wasser geliefert habe, versiegt sei. Hans erzählte, wohin er wolle. Da baten ihn die Leute, er möge doch den Vogel Greif fragen, wie das Uebel zu beseitigen sei. Darauf zog er weiter.

Bald kam er in eine andere Stadt, und auch hier fand er Alles voll Trauer. Auf sein Befragen erzählte man ihm, dass ein Apfelbaum, der sonst für die ganze Stadt Früchte gebracht habe, keinen Apfel mehr trage. Als man erfuhr, wohin er wolle, bat man ihn, bei dem Vogel Greif sich nach der Ursache zu erkundigen. Darauf zog der dumme Hans weiter.

Endlich kam er an ein schwarzes Wasser. Hier stand ein Knabe, welcher mit einem schwarzen Mantel bekleidet war. Dieser setzte ihn in einem Kahne über das Wasser, und als er erfuhr, wohin Hans wolle, bat er ihn, er mochte den Vogel Greif fragen, wodurch er von seiner Aufgabe, Jeden, der komme, über den Strom setzen zu müssen, erlöst werden könne.

Nach einiger Zeit gelangte Hans glücklich in die Burg des Greifen. Hier traf er eine schöne Frau: das war die Gemahlin des Vogels, welche er wegen ihrer Schönheit geraubt hatte. Hans sagte ihr den Grund, weshalb er gekommen sei; er vergass auch nicht zu sagen, sie möchte sich doch erkundigen, weshalb der Brunnen kein Wasser und der Baum keine Aepfel mehr gäbe, und wann der Knabe am Wasser erlöst werden könne. Die Frau sagte ihm, sie wolle Alles ausrichten. Ihr Mann werde bald nach Hause kommen; wenn er in seiner Burg einen Menschen sähe, so würde er ihn sicher auffressen, deswegen solle er sich im Kamin versteckt halten. Hans kroch sogleich in den Kamin; es währte auch nicht lange, so kam der Greif. „Ich rieche Menschenfleisch, ich rieche Menschenfleisch,“ sagte er, sobald er in die Stube trat. Sein Weib aber beruhigte ihn und fragte, wie viel Menschen er heute schon gefressen habe, „achtzehn,„ sagte der Greif, legte sich hin und schlief ein, die Frau aber musste ihn kraulen. Nach einem Weilchen riss sie ihm eine Feder aus. Der Greif erwachte und wollte seine Frau voll Wuth schlagen, die aber sagte, sie sei ein wenig eingenickt, da sei ihr der Gedanke angekommen, was wohl geschehen könnte, damit der Brunnen in der Stadt, welcher versiegt sei, wieder Wasser gebe. „Es liegt ein grosser Frosch vor der Quelle,“ sagte der Greif, „wenn dieser weggezogen ist, so wird er wieder Wasser geben.“ Darauf schlief er wieder ein.

Bei der zweiten Feder, welche die Frau ihm ausriss, fragte sie ihn, weshalb der Apfelbaum keine Früchte träge. „Ein Mädchen hat ihr Kind getödtet und unter den Wurzeln des Baumes vergraben; wenn das Kind wieder ausgegraben wird, so wird der Baum wieder Früchte tragen.“ Nachdem der Greif das gesagt hatte, schlief er wieder ein. Bei der dritten Feder fragte ihn die Frau, wie der Knabe erlost werden könnte, welcher die Leute über das schwarze Wasser setzen müsse, und erhielt zur Antwort: „Der Knabe muss dem, welcher sich dem Ufer nähert, seinen schwarzen Mantel umwerfen.“ Darauf schlief er wieder ein.

Hans hatte sich hinter dem Kamin Alles aufgeschrieben. Nun, da er Bescheid wusste, ging er in den Garten und pflückte zwei Aepfel, nachdem er von der Frau des Greifen die drei Federn erhalten hatte. Als er aus dem Garten in die Burg zurückkehrte, gelangte er in ein Zimmer, in welchem sich viele Kriegsleute befanden, die lagen aber alle in tiefem Schlafe und dazu drei Jungfrauen, welche gleichfalls schliefen. Unter den Jungfrauen war eine von solcher Schönheit, dass er seine Leidenschaft nicht zu bezähmen yermochte. Darauf schrieb er seinen Namen auf ein Stück Papier, das legte er in den Tischkasten und dann verliess er das Schloss. Auf seinem Heimwege kam er zuerst an das schwarze Wasser. Der Knabe rief ihm schon von weitem zu, wie er erlöst werden könnte. Hans aber liess sich über den Fluss setzen und erst dann, nachdem er eine kleine Strecke fortgeritten war, rief er dem Knaben zu, was er thun müsse, wenn er erlöst werden wolle. Der Knabe lief ihm sogleich nach und suchte dem Hans den Mantel umzuwerfen, allein dieser spornte sein Pferd an und entkam glücklich. In den beiden Städten verkündete er, was ihm der Vogel Greif gesagt hatte: man wollte ihn dafür auf das Reichste belohnen, er aber nahm kein Geld. Endlich kam er an die Waldschenke. Jetzt kehrte er ein und fand daselbst seine Brüder. Er löste sie aus und machte sich mit ihnen auf den Heimweg, nachdem er ihnen erzählt hatte, dass er die drei Federn und zwei Aepfel geholt habe.

Nachdem alle drei Brüder eine Strecke des Weges zurückgelegt hatten, wurde Hans von Müdigkeit überwältigt; er stieg von seinem Pferde, legte sich nieder und schlief ein. Als die beiden älteren Brüder ihn schlafen sahen, brannten sie ihm die Augen aus, dann nahmen sie die drei Federn und zwei Aepfel und zogen damit nach Hause. Ihr Vater ward dadurch auch alsobald gesund.

Hans irrte im Walde umher. Da hörte er einen Adler sagen, er solle sich mit dem Wasser des Quells, zu welchem er gelangen werde, die Augen waschen, dann werde er wieder sehend werden. Nach einiger Zeit kam Hans auch wirklich an einen Quell. Er wusch sich mit dem Wasser desselben die Augen und ward sogleich wieder sehend. Darauf machte er sich auf den Weg und kam glücklich zu Hause an. Hier erzählte er, dass er es sei welcher die drei Federn und zwei Aepfel geholt habe; man lachte ihn aber aus und achtete seiner nicht weiter.

Das schöne Mädchen; welches Hans lieb gehabt hatte, gebar indess einen Sohn. Als derselbe fünf Jahr alt geworden war, spielte er eines Tages in dem Zimmer seiner Mutter. Da fand er zufällig das Blatt, welches Hans zurückgelassen hatte und auf welchem sein Name stand. Das brachte er seiner Mutter. Sobald diese das Blatt gelesen hatte, machte sie sich auf den Weg, um ihren Gatten aufzusuchen. Drei Meilen vor der Königsstadt machte sie Halt. Sie befahl, dass der Weg, welcher zu ihrem Zelte führte, mit Purpur belegt werde, dann liess sie yerkündigen, derjenige möge zu ihr kommen, welcher in der Burg des Greifen sie aufgesucht habe. Sobald die Botschaft verkündet war, machte sich der älteste Sohn des Königs auf den Weg. Der mied mit seinem Pferd den mit Purpur belegten Weg. Als der Knabe den Sohn des Königs sah, fragte er seine Mutter: „Mutter, ist das mein Vater?“ Die Mutter aber sagte: „Nein, mein Sand, das ist Dein Vater nicht.“ Also musste der Königssohn wieder abziehen. Darauf machte sich der zweite Sohn des Königs aaf den Weg, er hatte aber nicht mehr Glück als der älteste. Darauf ritt Hans aus. Als er an den mit Purpur belegten Weg kam, ritt er auf demselben entlang dem Zelte zu. Der Knabe fragte wieder: ,,Mutter, ist das mein Vater?“ Die Mutter erwiderte: „Ja, mein Kind, das ist Dein Vater. Er hat den Purpur nicht verschont, ebenso wenig hat er mich verschont.“

Darauf wurde eine grosse Hochzeit gefeiert und dann ist Hans mit der Prinzessin, seiner Gemahlin, in ihr Land gezogen, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute. Gross-Döbern

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880