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Die neun Äpfel

  Cottbus

In einem Schlosse, nicht weit von Würzburg, lebte einst ein Graf mit seinen drei Söhnen. Seine Frau war gestorben. Die beiden jüngsten aber trachteten darnach, ihren Bruder um das einstmalige Erbe zu bringen. Zu diesem Zwecke sprachen sie stets ungünstig von ihrem ältesten Bruder und nannten ihn nur den dummen Hans, so dass er zuletzt diesen Namen erhielt und der Vater sowie alle Welt glaubten, der Hans sei wirklich etwas dumm. Nur ein alter Diener blieb ihm treu und wusste besser, was von der Dummheit des Hans zu halten sei. Es trug sich aber zu, dass der Vater erkrankte und keinen Arzt fand, welcher ihm half. Da träumte ihm einmal, er werde nur dann genesen, wenn er von drei Bäumen, die in dem verfluchten Garten wüchsen, je drei Früchte ässe. Den Traum erzählte er am folgenden Tage seinen Söhnen; sogleich waren diese bereit, den verfluchten Garten zu suchen und die neun Aepfel zu holen. Der Graf gab dem ältesten Sohne, weil dieser für dumm galt, die Erlaubniss nichts nach den Aepfeln auszuziehen, sondern er liess dem zweiten ein prächtiges Pferd rüsten und viel Geld geben. Es hatte dem Grafen auch geträumt, der Weg nach dem verfluchten Garten führe stets rechts, er sei aber eng und schmal und seit Jahrhunderten verwachsen. Das sagte er nun dem Sohne alles und hiess ihn dann sich auf den Weg machen. Aber Woche um Woche verging und zuletzt wurden Monate daraus, dass der zweite Sohn nicht wieder kam; da entsandte er den dritten Sohn, wiederum reichlich mit Geld versehen und mit einem schönen Pferde. Allein auch dieser kehrte nicht wieder; so blieb dem Vater denn nichts übrig als zuletzt seinem Sohne Hans die Erlaubniss zu geben, sein Heil zu versuchen, ob er die Aepfel bringen werde.

Der dumme Hans liess sein Pferd, einen alten, ausgedienten Schimmel, zur Reise von seinem alten treuen Diener rüsten, erhielt eine Kleinigkeit an Geld; darauf ritt er fort. Auf seiner Reise hielt er sich an die Vorschriften seines Vaters. Er kam durch viele Städte und Dörfer, allein nirgends hielt er an und selbst als er müde war, kehrte er doch nicht in einer Stadt, welche links am Wege lag und herrlich anzusehen war, ein, denn er fürchtete, es möchte eine Versuchung sein, sondern er ritt den Weg rechts, welcher in einen Wald führte. Hier stiess er bald auf einen Wiesenquell, an dem er lagerte; sein Pferd liess er weiden - und dann, nachdem er geruht hatte - setzte er seinen Weg gekräftigt weiter fort Als er wieder eine Strecke im Walde geritten war, trat plötzlich ein Männchen in einem rothhraunen Mantel an ihn heran und fragte ihn, wohin er wolle. Er erwiderte, er wolle nach dem verfluchten Garten, um daraus neun Aepfel zu holen. Das Mannchen sagte ihm darauf, wenn er Alles befolge, was er ihm sagen werde, so werde er nicht nur die Aepfel erhalten, sondern auch eine Königin erlösen. Darauf beschrieb er ihm genau, wie er sich zu verhalten habe. Hans dankte und ritt darauf weiter.

Es währte aber nicht lange, so kam er an einen grossen Stein, worauf ein Löwe sass, der Löwe aber war ein guter Geist. Der ermahnte ihn nun, er solle sich immer rechts halten und liess ihn dann ungehindert des Weges ziehen. Darauf kam Hans durch einen Wald, in welchem ihm viel wilde Thiere entgegen kamen, Eulen umflatterten ihn und Gespenster traten ihm in den Weg. Er aber ritt ruhig weiter, hielt sich stets rechts und gelangte nach einiger Zeit an einen tiefen See, jenseits dessen er ein Schloss sah. Bei dem See machte er Halt, ass selbst und liess seinen Schimmel weiden. Darauf überlegte er, wie er über das Wasser werde setzen können; indem kam ein Löwe auf ihn zu, auf den setzte er sich. Der Löwe schritt mit seiner Last sofort auf den See zu und obschon sich ein furchtbarer Sturm erhob, schwamm er doch mit Hans durch das Wasser und setzte ihn glücklich am andern Ufer ab.

Es war aber gerade elf Uhr, als er am jenseitigen Ufer stand. Der Löwe sagte ihm, er sei jetzt an den verwünschten Garten gekommen: die eiserne Thür, welche diesen verschlossen halte, werde sich öffnen, er möge die Aepfel von den Bäumen pflücken, könne auch in das Schloss gehen und die schlafende Königin erlösen, um zwölf Uhr aber müsse er wieder am See sein. Als Hans sich der Thür näherte, sprangen auf einmal wilde Thiere auf ihn zu und Eulen umkreisten ihn, allein er ging furchtlos auf den eisernen Zaun zu, die Thür öffnete sich und er trat in den Garten ein. Sobald er den Garten betreten hatte, ging er gerade auf die drei Bäume zu und pflückte von jedem drei Aepfel. Darauf näherte er sich dem Schlosse. Da fand er denn zu seinem Erstaunen, dass hier Alles im tiefen Schlafe lag: die Enten schliefen auf ihrer Pfütze, die Tauben auf dem Dache, die Pferde in den Ställen. Hans ging in das Schloss hinein und nachdem er durch mehrere prächtige Zimmer gekommen war, fand er endlich in dem letzten eine Prinzessin in ihrem Bette liegen, die auch schlief. Da sie so schön war, so liebkoste er sie, sie aber erwachte nicht. Darauf füllte er seine Taschen mit Gold, das er in einem Kasten fand, und schrieb dann mit einem Stückchen rother Kreide, welche bei dem Golde lag, unter dem Tische die Worte an:

Der dumme Hans bin ich genannt.
Würzburg ist mein Vaterland.

Nun aber fehlten nur noch einige Minuten an zwölf. Hans beeilte sich auf das Aeusserste und es glückte ihm auch, gerade noch mit dem Schlage zwölf die Thür zu erreichen. Kaum hatte er sie hinter sich, so geschah ein furchtbarer Krach, die Thür schlug zu, drinnen aber im Schlosse erwachte Alles und kehrte freudig zum Leben zurück. Am See war auch schon der Löwe bereit, ihn noch einmal durch das Wasser zu tragen; kaum hatte er das jenseitige Ufer mit Hans erreicht, so verwandelte er sich in einen stattlichen Krieger, dankte Hans, dass er ihn erlöst habe und sagte, er werde einst noch die Prinzessin, welche er auch erlöst, heirathen und König werden.

Hans machte sich nun mit seinen neun Aepfeln auf den Heimweg. Diesmal aber kehrte er in die schöne Stadt ein, auf welche er stiess, nachdem er den Wald verlassen und welche er bei seinem Auszuge gemieden hatte. Als er auf dem Markte angekommen war, erkundigte er sich nach dem besten Gasthause und da ihm ein Mann willigen Bescheid gab, so liess er sich mit diesem in ein Gespräch ein; er erfuhr nun, es seien vor einiger Zeit auch zwei Reiter in das Gasthaus eingezogen, allein denen werde es schlecht ergehen. Hans kehrte darauf in das beste Gasthaus ein, erhielt aber in demselben, da er sehr verwildert aussah, nur das Zimmer eines Dieners. Er bezahlte aber Alles, was er erhielt, sofort mit Gold und als dies dem Wirth hinterbracht wurde, erhielt er sogleich das schönste Zimmer des ganzen Hauses. Als er im Saale mit den übrigen Herren, welche im Gasthofe wohnten, zusammentraf, wollten ihn diese zum Spiel verführen, er aber liess sich auf nichts ein.

Plötzlich erhob sich auf der Strasse ein grosser Aufruhr, und als Hans sich nach der Ursache erkundigte, erfuhr er, zwei Grafen, welche im Gasthause all ihr Geld verspielt, auch noch Schulden gemacht hätten, sollten, da sie diese nicht bezahlen konnten, gerichtet werden. Da merkte Hans, dass das seine Brüder wären, liess sich zur Richtstelle führen, bezahlte die Schulden seiner Brüder und errettete sie so vor dem Tode. Darauf kehrten alle drei fröhlich in das Gasthaus zurück; da staunten denn die beiden jüngeren Brüder nicht wenig, dass Hans die neun Aepfel wirklich geholt habe. Es erfasste sie aber auch zugleich ein heftiger Neid und sie beschlossen heimlich Alles zu thun, um den Hans zu verderben, sie liessen ihn aber von ihrem Vorhaben nichts merken und waren gegen ihren Bruder unterwegs freundlich und aufmerksam. In der letzten Herberge aber, in welcher sie einkehren mussten, bevor sie ihre Heimath erreicht, nahmen sie heimlich die neun Früchte aus der Ledertasche ihres Bruders und vertauschten diese mit neun Steinen, sie selbst aber bargen die Aepfel sorgfältig. Als nun die drei Brüder zu Hause angekommen waren, wurden die beiden jüngsten mit Freuden aufgenommen und sogleich in das Schloss geführt, Hans aber übergab seinen alten Schimmel erst dem treuen Diener, dann ging auch er zu seinem Vater. In der Zwischenzeit hatten die beiden Brüder die Aepfel dem Vater übergeben; sie erzählten ihm, dass sie dieselben von den drei Bäumen in dem verfluchten Garten gepflückt hätten. Der Vater ass sie und ward auch sofort gesund. Als nun Hans mit seiner Ledertasche in das Zimmer des Vaters trat, fragte ihn dieser, ob er die Aepfel bringe. Hans bejahte dies, öffnete die Ledertasche, fand aber nur Steine darin. Nun glaubte der Vater, Hans wolle ihn betrügen, liess ihn in ein Gefängniss setzen und darauf, nachdem seine Löwen sieben Tage kein Fleisch bekommen hatten, in die Löwengrube werfen. Die Löwen aber thaten dem Hans kein Leid an und als sie nach einigen Tagen wieder Fleisch erhielten, theilten sie sogar ihre Mahlzeit mit ihm, und das thaten sie fortan immer.

Die Prinzessin, welche Hans in dem Schlosse schlafend getroffen und die er erlöst hatte, gebar nach einiger Zeit einen Sohn. Sie hatte ihre Freude an dem Kinde, welches schon und kräftig aufwuchs, allein sie grämte sich doch, dass sie keinen Gatten habe. Jede Nacht erschien ihr im Traume ein Geist, welcher ihr zurief: „Harre nur aus, er kommt''; dadurch ward ihre sinkende Hoffnung stets neu belebt. So kam es, dass ihr Sohn bereits das neunte Jahr vollendet und sie noch immer die Hoffnung auf die Wiederkehr des Vaters nicht aufgegeben hatte. Einstmals spielte ihr Sohn mit einem Ball, der rollte unter den Tisch, und der Knabe bückte sich darnach; da fand er plötzlich die Inschrift mit rother Kreide, welche lautete:

Der dumme Hans bin ich genannt
Würzburg ist mein Vaterland.

Als die Prinzessin diese Worte lesen hörte, wusste sie gleich, dass nur ihr Gatte das geschrieben haben konnte: sie liess also Wagen und Pferd zur Reise rüsten und machte sich am folgenden Morgen auf den Weg nach Würzburg. In der Nacht vor der Abreise erschien ihr noch einmal der Geist und gab ihr die Merkmale an, woran sie ihren Gatten erkennen werde. Die Prinzessin kam mit ihrem Sohne nach einer längeren Reise in Würzburg an und fuhr sogleich zu dem König des Landes. Dem erzählte sie, dass sie ihren Gatten suche. Der König liess sogleich Erkundigungen einziehen, ob Jemand im Lande der dumme Hans genannt werde. Da fand es sich denn, dass einer von den Grafen, die ihm unterthan waren, einen Sohn dieses Namens habe. Sofort liess der König an den Grafen die Botschaft ergehen, wenn er einen Sohn habe, welcher der dumme Hans genannt werde, so solle dieser, wenn er eine schlafende Prinzessin erlöst habe, zu ihm auf das Schloss kommen. Den Aufgang nach dem Schlosse liess er aber so zurichten, wie es der Geist der Prinzessin angegeben hatte, nämlich einen schmalen Weg mit weißem Tuch belegen, einen zweiten aber breit und schön zurecht machen. Von den Söhnen des Grafen rüstete sich der zweite sofort zum Ritte nach dem Schlosse, obschon er gar nicht Hans hiess. Als er an die beiden Wege kam, welche den Aufgang zum Schlosse bildeten, ritt er den schönen Weg entlang. Daran erkannte der König und die Prinzessin, welche an einem Fenster des Schlosses standen, sofort, dass er ein Betrüger sei; sie sandten ihn, ohne mit ihm zu sprechen, wieder zu seinem Vater. Darauf versuchte auch der jüngste Bruder den Bitt nach dem Schlosse, allein mit demselben Erfolge, denn auch er wählte den schönen Weg. Nun liess der König dem Grafen entbieten, er solle endlich den dritten Sohn senden, denn die beiden andern seien Betrüger. Dem Grafen blieb demnach nichts übrig, als zu sehen, ob sein Sohn noch lebe. Da fand es sich denn, als der Graf zur Löwengrube kam, dass Hans noch darin sei, munter und wohlbehalten, wie an dem Tage, an welchem er hineingeworfen war. Sofort wurde nun Hans aus der Löwengrube befreit. Er sollte sich jetzt schön kleiden, allein er weigerte sich dessen, liess von seinem treuen Diener seinen alten Schimmel rüsten, setzte sich darauf und ritt dem königlichen Schlosse zu. Er wählte, als er zum Aufgang kam, den richtigen Weg, welcher schmal aber mit weißem Tuch belegt war; sobald sein Pferd diesen Weg betreten hatte, neigten sich die Fahnen des Schlosses und eine fröhliche Musik erscholl. Er ward freudig im Schlosse aufgenommen, die Prinzessin herzte und küsste ihn, trotzdem er rauh war und sein Bart bis auf die Füsse reichte, und auch ihr Sohn freute sich, seinen Vater zu sehen.

Nun aber liess der König die Söhne des Grafen auf das Schloss kommen; jetzt mussten sie ihren Betrug gestehen, und obschon Hans selbst für sie bat, liess der König die Missethäter doch den Löwen vorwerfen, welche sie sogleich zerrissen.

Hans aber und seine Gemahlin dankten dem König für seine Hülfe, darauf fuhren sie nach dem Schlosse der Prinzessin; Hans wurde in ihrem Lande später König. Seinen treuen Diener konnte er nun reichlich belohnen. Der alte Graf aber lebte allein in seinem Schlosse und von allen seinen drei Söhnen war ihm keiner geblieben. Cottbus

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880