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Das Zunderzeug

  bei Vetschau R 

Ein armer Soldat traf einmal in einer Haide mit einer ihm unbekannten Frau zusammen. Beide begrüssten sich freundlich. Zufällig standen sie unter einem grossen Baum. Da sprach die Frau zu dem Soldaten: „Du wirst noch einmal Dein Glück machen, das sehe ich Dir an der Stirne an.“ „Und Du,'' sprach der Soldat, „bist gewiss eine Hexe, denn Deine Augen sehen ganz danach aus.“ „Du kannst recht haben,„ sprach die Frau „Wir müssen uns verbünden, dann werden wir beide glücklich werden.“ Weiter sprach die Frau: „An dem Baum, unter welchem wir stehen, haftet das Glück. Der Baum ist inwendig hohl, unten im Baum ist ein freier Platz, dort liegen grosse Schätze. Wenn Du hinabsteigen und die Schätze holen willst, so werden wir beide, Du und ich, glücklich werden.“ Der Soldat sprach: ,,Sage nur, wie ich das machen soll. Ich will Alles thun, was Da verlangst.“ Darauf erwiederte die Frau: „Ich werde Dich in den Baum hinablassen. Wenn Du unten auf den freien Platz kommst; so wirst Du drei Thüren sehen. Du musst jede der Thüren nach einander öffnen. Dann wirst Du einen grossen Kasten erblicken, darauf sitzt ein Hund. Ich werde Dir meine Schürze mitgeben. Die spreitest Du vor dem Kasten aus. Dann musst Du den Hund nehmen und ihn auf die Schürze setzen. Hast Du das gethan, so kannst Du so viel Gold und Silber nehmen, als Du willst. Was der Hund auch für grosse Augen machen wird, daran brauchst Du Dich nicht zu kehren. Thue nur Alles so, wie ich es Dir sage. Wenn Du aus allen Kasten Gold und Silber genommen hast, so vergiss nicht, das Zunderzeug mitzubringen, welches bei dem letzten Kasten liegt. Das soll für mich sein. Du magst die Schätze behalten.“

Darauf holte die Frau eine Leine aus ihrer Schürze hervor und band sie dem Soldaten um den Leib. Dieser kletterte auf den Baum, die Frau aber liess ihn in eine Oeffnung, welche in dem Baum war, hinab, unten im Baum war richtig ein freier Platz. Der Soldat ging auf die erste Thüre zu und öffete dieselbe. Vor ihm stand ein grosser Kasten, auf dem Kasten sass ein Hund. Er spreitete die Schürze aus, setzte den Hund darauf und oeffnete den Kasten. In demselben war lauter Kupfergeld. Der Soldat füllte sein Ränzchen, welches er mitgenommen hatte, mit dem Kupfergeld. Darauf machte er den Kasten wieder zu und setzte den Hund darauf.

Dann ging er zu der zweiten Thür. Er oeffnete dieselbe. Auch hier stand ein Kasten, auf dem Kasten sass ein Hund. Wieder spreitete er seine Schürze aus. Er wollte den Hund darauf setzen, aber die Augen des Hundes wurden immer grösser und sahen ihn so drohend an, dass er zurückschreckte. Darauf sprach der Hund: „Du brauchst mich ja nicht anzusehen, wenn Du Furcht hast.“ Darauf trat der Soldat rasch hinzu und setzte den Hund auf die Schürze. Er oeffnete schnell den Kasten. In dem Kasten war lauter Silber, so dass er das Kupfer ausschüttete und sein Ränzchen mit Silber vollfüllte. Darauf machte er den Kasten zu, setzte den Hund wieder darauf und ging fort.

Endlich kam er an die dritte Thür. Er öfhete dieselbe. Hier war wieder ein Kasten, auf dem Kasten sass ein Hund. Er spreitete wieder seine Schürze aus, nahm schnell den Hund vom Kasten and machte den Deckel des Kastens auf. In diesem Kasten lag lauter Gold. Er schüttete das Silber aus and nahm so viel von dem Golde, als in sein Ranzel ging. Dann nahm er das Zanderzeug, setzte den Hand wieder auf den Kasten and ging zurück auf den freien Platz. Er rief die Frau, diese zog ihn wieder hinauf. Darauf sprang er vom Baum, trat zu der Frau und sprach: „Ich habe Alles vollbracht, nun bin ich reich und glücklich.“ Die Frau sagte: „Behalte nur Alles, was Du mitgebracht hast, aber mir gieb das Zunderzeug.“ Der Soldat erwiederte: „Was willst Du damit machen? Wenn Du mir das sagst, so will ich es Dir geben.“ Die Frau entgegnete: „Das brauche ich Dir nicht zu sagen. Dir gehört das Geld und mir das Zunderzeug.“ Da nahm der Soldat sein Schwert und hieb der Frau den Kopf ab. Darauf ging er eilig fort.

Er kam in eine grosse Stadt; in welcher ein mächtiger König regierte. Dieser König hatte eine einzige Tochter. Seine Tochter wohnte in einem Thurm von Zinn. Es war nämlich dem alten König gewahrsagt worden, seine Tochter werde einen einfachen Soldaten heirathen. Das wollte der König nicht und darum hatte er sie in den Thurm bringen lassen. Der Soldat ging in den besten Gasthof der Stadt. Er hatte auch von der schönen Königstochter gehört und gedachte, sie zu heirathen. Eines Abends nahm er sein Zunderzeug und drehte daran. Siehe, da erschien ein grosser Hund, der fragte, was er begehre. Er sprach zu dem Hunde: „Kannst Du mir die Königstochter hierher bringen?“ Der Hund sagte: „Ja, das kann ich.“ „So hole sie,“ sprach der Soldat. Es währte nicht lange, so war die Prinzessin in seinem Zimmer. Der Soldat und die Prinzessin erfreuten einander über eine Stunde, dann trug der Hund die Prinzessin wieder fort. Den andern Abend liess der Soldat die Prinzessin wiederum holen. Die Wächter hatten aber gemerkt, dass die Prinzessin aus dem Thurme fort gewesen war. Deshalb merkten sie am folgenden Tag doppelt genau auf. Sie sahen diesmal die Prinzessin verschwinden, aber sie wussten nicht, wie das geschah. Am dritten Abend durchsuchten die Wächter, als die Prinzessin wiederum verschwunden war, die ganze Stadt. Endlich fanden sie dieselbe in dem Zimmer des Soldaten. Darauf wurde die Prinzessin in den zinnernen Thurm gebracht, der Soldat aber in das Gefängniss. Am andern Tage sollte derselbe hingerichtet werden. Als die Sonne kaum aufgegangen war, führte man ihn auf den Richtplatz. Dort sprach der Scharfrichter zu ihm: „Eine Stunde hast Du Zeit zum Beten, dann ist es mit Deinem Leben zu Ende.“ Der Soldat sprach zu einem kleinen Jungen, welcher auf dem Richtplatze war: „Laufe schnell in den Gasthof. Auf meinem Zimmer wirst Du ein Zunderzeug finden, das bringe mir schnell her. Ich will Dich dafür reichlich belohnen.“ Der Junge lief so schnell er konnte nach dem Gasthof imd brachte auch richtig das Zunderzeug auf den Richtplatz. Kaum hatte er es dem Soldaten eingehändigt, so drehte dieser ein paar Mal daran. Plötzlich standen mehrere grosse Hunde vor ihm, welche gräulich aussahen, so dass der Scharfrichter und die Wache davonliefen. Als das dem König erzählt wurde, sprach er: „Der ist mächtiger als ich, ich will ihm meine Tochter zur Frau geben.“ Am andern Tage hielt der Soldat mit der schonen Königstochter Hochzeit. Beide lebten glücklich zusammen bis an ihr Ende.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880