<<< vorheriges Märchen | XXI. Weitere Märchen | nächstes Märchen >>>

Die unglückliche Ehe

  Schorbus

In der alten Zeit bestand die Sitte, dass bei einer Eheschliessung die Verwandten und Bekannten des jungen Paares kamen und demselben etwas anwünsehten. Da geschah es einmal, als wieder eine Hochzeit gefeiert wurde, dass unter den Gästen Jemand war, welcher dem jungen Paare nicht wohl wollte. Das bewies er dadurch, dass er heimlich ein verschlossenes Vorlegeschloss in den Brunnen warf. Nachdem die Hochzeit vorüber war, zeigte es sich bald, dass die jungen Eheleute sich nicht vertragen konnten. Man wusste nicht, was die Ursache des stets wiederkehrenden Zankes und Streites war; deshalb rieth man den jungen Leuten, sie sollten Jemand zum Drachen schicken, der würde schon Rath wissen. Das geschah.

Als der Bote ankam, war der Drache nicht daheim, der Bote wurde jedoch von einer alten Jungfer empfangen. Dieser erzahlte er, weshalb er gekommen sei. Die alte Jungfer versprach ihm, sie wolle sich bei ihrem Herrn erkundigen, er müsse sich aber verstecken, denn der Drache dulde nicht, dass Jemand ausser ihr in seiner Wohnung sei. Der Bote liess sich verstecken, bat aber die alte Jungfer, sie möge ihm später etwas von dem Drachen mitgeben, so dass man ersehen könnte, er sei wirklich bei demselben gewesen. Die alte Jungfer versprach ihm das.

Es währte nicht lange, so kam der Drache zurück. Kaum hatte er seine Wohnung betreten, so rief er aus: „Hier riecht es nach Christen.“ Die alte Jungfer aber suchte ihn zu beruhigen, was ihr auch endlich gelang. Als sich der Drache zur Ruhe begeben hatte und eingeschlafen war, riss ihm die alte Jungfer eine Feder aus. Der Drache erwachte, schlief aber bald wieder ein. Kurze Zeit darauf riss ihm die alte Jungfer eine zweite und schliesslieh eine dritte Feder aus. Der Drache erwachte jedes Mal, schlief aber immer bald wieder ein; zuletzt fragte er die alte Jungfer, was sie denn eigentlich wolle und warum sie ihn stets im Schlafe störe. Da fragte ihn diese, weshalb jene Eheleute so unglücklich zusammen lebten. Der Drache erwiederte: „Sie müssen den Brunnen ausschöpfen, auf dem Grunde desselben werden sie ein verschlossenes Vorlegeschloss finden, das müssen sie herauf holen und öffnen.“ Nachdem er das gesagt hatte, schlief er wieder ein. Die alte Jungfer gab dem Boten die drei Federn, welche sie dem Drachen ausgerissen, erzählte ihm, was ihr dieser gesagt hatte, und darauf entliess sie ihn.

Der Bote gelangte glücklich nach Hause, zeigte die drei Federn vor, um zu beweisen, dass er wirklich beim Drachen gewesen war und berichtete, was er erfahren hatte. Die Leute machten sich darauf an die Arbeit, schöpften den Brunnen aus, fanden das Schloss und liessen es öffnen. Fortan war die Ehe eine glückliche.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880