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Die drei Ringe

  bei Vetschau R 

Es war einmal ein König, der hatte bei seinem Palaste einen schönen Garten. In diesem Garten hatte er vor langen Jahren einen Apfelbaum gepflanzt, welcher jährlich drei Aepfel trug. Noch nie hatte er aber einen von den Aepfeln essen können, denn jedes Jahr verschwanden dieselben auf räthselhafte Weise. Der König hatte Jahre lang Wächter bei dem Baume aufgestellt, aber um die Zeit der Reife waren die Aepfel stets verschwunden, ohne dass die Wache zu sagen wusste, wie das geschehen war.

Einstmals jedoch stand ein kühner Soldat bei dem Apfelbaum Wache. Als die Uhr zwölf schlug, sah er, wie eine graue Wolke auf den Apfelbaum zuschwebte. Es währte nicht lange, so war dieselbe nicht mehr in der Nähe des Apfelbaumes zu erblicken, aber der Soldat hatte mit seinen scharfen Augen gesehen, dass sie unter einem Dornenstrauch, welcher am Ende des Gartens stand, verschwunden war.

Am andern Morgen ging er zum König und theilte ihm die seltsame Geschichte mit. Darauf ging der König mit seinen Söhnen und vielen Arbeitern in den Garten. Als sie an den Dornenstrauch kamen, war nirgends eine Oeffnung zu sehen, in welche die Wolke hätte verschwinden können. Der König befahl, dass der Dornenstrauch ausgerissen würde, aber je tiefer die Arbeiter gruben und je kraftiger sie an dem Dornenstrauch rissen, um so mehr begann derselbe zu wachsen. Da sprachen sie einen kräftigen Zauber über den Strauch aus. Siehe da, nun wurden die Wurzeln des Dornenstrauches immer dünner, so dass die Arbeiter weiter graben konnten. Endlich kam eine Oeffnung zum Vorschein. Darauf holte man einen Stein und warf denselben in die Oeffnung hinein. Es wahrte sehr lange, bis man am Klange hörte, dass derselbe unten angelangt war. Darauf sprach der König: „Wer von Euch will hinunter steigen?“ Niemand meldete sich. Endlich trat der älteste Sohn des Königs vor und sprach: „Ich will den Zauber lösen, lasst mich in die Oeffnung hinunter. Darauf nahm man eine lange Leine, band den Königssohn daran fest und liess denselben hinab. Vorher hatte er aber gesagt, dass man ihn wieder hinaufziehen möchte, wenn er an der Leine ziehen würde.

Als der Königssohn unten angelangt war, befand er sich in einem dunklen Gange. Er verfolgte denselben immer weiter, bis er über eine Brücke kam. Kaum war er über dieselbe gegangen, so gelangte er in einen grossen Saal. In dem Saale brannte in der Mitte ein helles Feuer; an demselben sassen drei schöne Jungfrauen. An der einen Seite des Saales war ein Brunnen, worin klares Wasser schimmerte; darüber hing ein grosses Schwert. Die drei Jungfrauen sprachen: „Wir sind verzaubert Wenn Du uns befreien willst, so trinke aus diesem Brunnen, denn sein Wasser ist das Wasser des Lebens und der Stärke. Dann nimm das Schwert und umgürte Dich damit. Hast Du das gethan, so wirst Du uns erlösen und Du selbst wirst glücklich sein.„ Der Königssohn schöpfte dreimal mit der Hand Wasser aus dem Brunnen und trank drei Züge. Kaum hatte er den letzten Tropfen getrunken, so fühlte er sich stärker als je zuvor in seinem Leben. Dann umgürtete er sich mit dem Schwerte, zog die Klinge und trieb damit alle die bösen Geister, welche auf ihn Kindrangen, zum Saale hinaus.

Jetzt hatte er die drei Jungfrauen erlost. Da sprach die eine von ihnen: „Nun bringe uns auf die Erde, damit wir die Sonne wieder sehen. Vorher aber nimm diese Geschenke.“ Die jüngste von den Jungfrauen zog einen Ring vom Finger, worauf die Sonne war; den gab sie dem Jüngling und dazu noch ein Tuch, auf welchem auch die Sonne war, mit dem Bemerken, er solle beides treu bewahren. Die zweite Jungfrau, welche noch schöner war, als die erste, gab ihm auch einen Ring, worauf Sonne und Mond waren und dazu ein Tuch, auf welchem auch Sonne und Mond waren. Die dritte endlich, von allen die schönste, gab ihm einen Ring, auf dem waren Sonne, Mond und Sterne, und dazu gab sie ihm ein Tuch, auf welchem auch Sonne, Mond und Sterne waren. Darauf band der Jüngling der ersten Jungfrau die Leine um den Leib, dann gab er das verabredete Zeichen, da zog man die Jungfrau hinauf. Wieder wurde die Leine hinabgelassen und man holte die zweite, endlich die dritte herauf.

Als die andern Brüder die schönen Mädchen sahen, wurden sie verblendet und sprachen leise einer zu dem andern: „Unser Bruder mag unten bleiben, wir wollen uns die schönsten Jungfrauen aussuchen und behalten.“ Deshalb liessen sie die Leine nicht wieder hinab und sagten zu ihrem Vater, welcher mit den Jungfrauen nach dem Schlosse gegangen war, sie hätten die Leine hinabgelassen, aber ihr Bruder habe kein Lebenszeichen von sich gegeben. Er sei gewiss dort unten umgekommen. Der König und die Jungfrauen verfielen darüber in tiefe Traurigkeit. Es wurde eine grosse Landestrauer angeordnet, welche ein ganzes Jahr dauern sollte.

Der Königssohn hatte unten in der Tiefe viele böse Geister besiegt und grosse Schätze erobert Endlich kam ein guter Geist zu ihm und sprach: „Ich will Dich auf die Erde bringen. Dein Vater wird vor Schmerz sterben, die Jungfrauen sind voll Trauer und Deine Brüder voll Uneinigkeit.“ Noch war das Jahr nicht um, als der gute Geist den jungen Königssohn auf die Erde brachte.

Er war nicht gar weit gegangen, so hörte er Glockengeläute. Als ein Wanderer des Weges kam, fragte er ihn, was das bedeute. „Ach,“ sagte derselbe, „es wird nun bald ein Jahr sein, seit der älteste Sohn des Königs verschwunden ist. Deshalb wird alle Tage geläutet, bis das Trauerjahr vorüber ist. Da sprach der Königssohn: „Gieb mir Deine Kleider, ich werde Dir die meinen geben.“ Der Wanderer vertauschte seine Kleider mit denen des Königssohnes. Darauf zog dieser weiter und kam in die Stadt. Kaum war er dort angekommen, so verkündete der Hausmeister des Königs in den Strassen, derjenige Goldschmied, welcher einen Ring machen könne, worauf die Sonne wäre, die glänze, solle sich bei dem Könige melden. Da fragte der Königssohn, wo ein Goldschmied wohne. Man führte ihn in das Haus eines alten Mannes. Hier fragte er, ob der Goldschmied einen Gesellen brauchen könne, worauf dieser sagte: „O ja, wenn Du einen Ring machen kannst, auf welchem die Sonne oben ist, welche glänzt.“ Der neue Gesell sagte: „Das ist eine Kleinigkeit, den will ich schon anfertigen.“ Darauf ging der Goldschmied zum König und sagte ihm, dass er den Ring machen werde.

Nach einigen Tagen kam der Hausmeister des Königs und fragte, ob der Ring fertig wäre. Erschreckt ging der Goldschmied nach der Werkstätte, in welcher sein Gesell war und fragte, ob der Ring fertig sei. Da lächelte der Gesell und sagte: „Ja, er ist fertig, in wenigen Minuten werde ich ihn bringen.“ Kaum hatte der Meister dem Gesellen den Rücken gewandt, so nahm dieser den Ring aus der Tasche und gab ihn dem Goldschmied. Der Hausmeister sowie der Goldschmied geriethen ausser sich vor Freude, als sie das Kleinod erblickten, denn solchen schönen Ring hatten sie noch nie gesehen. Beide lobten die Geschicklichkeit des Gesellen.

Es dauerte aber nicht lange, so kam der Hausmeister des Königs wieder zu dem Goldschmied und sagte, er möchte einen Ring gemacht haben, worauf Sonne und Mond waren. Der Goldschmied fragte seinen Gesellen, ob er sich getraue, auch dieses zweite Kunstwerk zu fertigen. Der Gesell sagte: „Ist mir das erste gelungen, so wird auch das zweite gelingen.“ Nach neun Tagen kam des Königs Hausmeister wieder, um den Ring abzuholen. Der Goldschmied ging wieder zu dem Gesellen in die Werkstatt und fragte, ob der Ring fertig wäre. Lächelnd griff der Gesell in die Tasche und gab dem Meister den Ring. Wiederum lobten der Goldschmied und Hausmeister den Gesellen über die Massen.

Zum dritten Male kam der Hausmeister des Königs und bestellte einen Ring, worauf Sonne, Mond und Sterne wären. Diesmal sagte aber der Gesell zu seinem Meister: „Jetzt arbeite ich nicht mehr, ich gehe auf die Wanderschaft.“ Eilig lief der Goldschmied zum König und erzählte ihm, dass sein Gesell, welcher die beiden Ringe gefertigt habe, nicht mehr arbeiten wolle, er selbst besässe die Geschicklichkeit nicht, einen solchen kunstreichen Ring zu machen. Der König sagte: „Ich werde meinen Feldhauptmann schicken, der soll den Gesellen einsperren bei Wasser und Brod; dann wird er sich schon besinnen und den Ring machen.“ Darauf ging der Feldhauptmann mit, dem Goldschmied in dessen Haus, um den Gesellen in das Gefangniss zu führen. Als sie dort angelangt waren, sprach der Gesell nach einigem Bedenken: „Ich will den Ring fertigen, aber nur vor den Augen des Königs.“ Da führte ihn der Feldhauptmann in das königliche Schloss. Hier gingen sie in den grossen Saal, in welchem der König, seine Söhne und die drei Jungfrauen sich befanden. Kaum waren sie eingetreten, so griff der Gesell in seine Tasche und holte drei Tücher aus derselben hervor. Er breitete sie aus und es glänzten Sonne, Mond und Sterne darauf. Dann nahm er einen Ring aus seiner Tasche und zeigte ihn im Kreise herum. Als die schönste der Jungfrauen den Ring sah, worauf Sonne, Mond und Sterne waren, sprang sie eilig von ihrem Sessel auf, lief zu ihm hin und sprach: „Du bist unser Erlöser; Du bist derjenige, den ich mir zu meinem Gatten erwählt habe.„ Als das der alte König hörte, war seine Freude gross, denn der verlorene Sohn stand vor ihm. Am andern Tage hielt der Königssohn mit der schönsten Jungfrau Hochzeit; der alte König gab ihm ein grosses Reich. Nicht lange darauf verheiratheten sich auch die beiden andern Jungfrauen mit den Königssöhnen, denen ihr Bruder verziehen hatte. Der alte König gab jedem von ihnen ein Reich im Norden.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880