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Der kluge Mann und die dumme Frau

  Oberlausitz

Es war einmal ein Mann, der hatte eine Frau, die war etwas dumm. Die Leutchen waren arm, sie hatten nur ein kleines Haus und ein Beet Acker, auf dem sie etwas Kartoffeln bauten. Einst waren die Kartoffeln sehr gut gerathen, so dass der Keller im kleinen Hause nicht ausreichte. Da sagte der Mann zu seiner Frau: „Wir wollen etwas Sand aus dem Keller schaufeln und ihn so vertiefen, dass wir im Herbst alle Kartoffeln hinein bringen können.“

Gesagt gethan! und siehe, dabei fanden sie im Keller einen Topf voll Geld. Ihre Freude war sehr gross, aber der Mann fürchtete, man mochte ihm das Geld wegnehmen, falls Andere von seinem Funde erführen. Deshalb verbot er seiner Frau streng, Jemandem ein Wörtchen von ihrem Geheimniss zu verrathen.

Aber die Frau konnte ihren Fund doch nicht verheimlichen. Als sie des anderen Tages mit anderen Weibern zum Hofedienst gegangen war, erzählte sie ihr Glück einer Freundin. Am Abend hörte dies der Mann. Er fürchtete, der Gutsherr werde es auch erfahren und ihm das Geld nehmen; deshalb sann er auf eine List.

Nach einigem Besinnen sprach er zu seiner Frau: „Höre, Frau, heute Nacht um zwölf Uhr werden die Türken mit langen Schnäbeln durch das Dorf ziehen; wenn die irgendwo eine Frau sehen, so zerbeissen sie dieselbe mit ihren langen Schnäbeln. Darum gehe in den Keller und verstecke Dich darin, ich will hinter Dir zuschliessen. Als es gegen Mittemacht kam, kroch die Frau in den Keller und der Mann schloss hinter ihr die Thür zu. Er selbst aber ging zum Bäcker und kaufte einen halben Scheffel Bräzeln, denn er hatte ja jetzt Geld genug. Die Bräzeln streute er über seinen ganzen Garten aus, dann ging er wieder in das Haus, rief seine Frau aus dem Keller hervor und sprach zu ihr: „Höre, Frau, heute Nacht hat es Bräzeln geregnet! Die Nachbarn haben schon alle die ihrigen aufgelesen - gehe auch hinaus in den Garten und lies die Bräzeln auf. Die Frau that wie ihr befohlen war, sie las auf bis der Tag graute, dann brachte sie einen ganzen Sack voll Bräzeln in die Stube. „Höre, Frau,“ sprach nun der Mann, „Du musst noch einmal in den Keller, denn der gnädige Herr ist verrückt geworden und wird heute früh mit Hunden aus dem Dorfe gehetzt werden, aber das darf kein Weib sehen.“ Sie gehorchte wiederum und kroch in den Keller. Darauf ging der Maon auf den Hof und hetzte seinen Hund, so dass derselbe anfing, laut zu bellen. Als das des Nachbars Hund horte, bellte auch dieser und darauf auch die andern Hunde im Dorfe. Die Frau im Keller horte das und dachte: „Ach, dass Gott erbarm, jetzt treiben sie den gnädigen Herm.“ Als sie endlich aus dem Keller herauskam, war es bereits heller, lichter Tag. Sie kochte darauf das Frühstück und dann, nach dem Essen, ging sie mit ihrem Mann auf die Arbeit.

Das Gespräch im Dorfe, dass der arme Mann einen Topf voll Geld gefunden hatte, wurde immer allgemeiner, so dass es auch vor den Gutsherrn kam. Er liess alsbald den Mann vor sich kommen und fragte ihn danach, aber der leugnete Alles. Darauf forderte er die Frau vor und befragte diese. „Ja“ sagte die Frau, „das ist wahr, wir haben einen ganzen Topf voll Geld gefunden“ Darauf wollte der Herr auch die näheren Umstände des Fundes wissen, aber die Frau konnte ihm keine genügende Auskunft darüber geben. Endlich fragte er auch: „Wann habt Ihr denn das Geld gefunden?“ Sie besann sich ein Weilchen, dann sagte sie: „Es war den Tag, bevor die Türken mit ihren langen Schnäbeln durch das Dorf zogen.“ Das kam dem Herrn komisch vor und er fragte sie deshalb, ob sie sich denn nicht auf etwas anderes besinnen konnte. „O ja“ sagte sie, „es war einen Tag früher, als es Brazeln geregnet hat.“ Da lachte der Herr und fragte, ob sie sich nicht noch auf etwas anderes besinnen könnte. „O ja, gnädiger Herr“ sagte sie, „es war den Tag vorher, als Ihr verrückt geworden und mit Hunden gehetzt seid.“ Da wurde der Gutsherr zornig und rief: „Ich bin nicht verrückt, aber Du bist verrückt, mache, dass Du mir aus den Augen kommst“ Der kluge Mann aber behielt sein Geld und verzehrte es mit seiner Frau in guter Ruh.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880