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Der Prinz und sein Zauberpferd

  bei Vetschau

Ein Priester fand einst im Wasser einen ausgesetzten Prinzen, ein Kind von zwei Jahren. Er nahm ihn mit sich, um ihn zu erziehen. Nachdem der Knabe ungefähr achtzehn Jahre alt geworden war, sprach der Priester zu ihm: „Jetzt kannst Du in die Welt ziehen und Dein Heil allein versuchen. Bitte Dir aus, was Du haben willst, ich werde es Dir geben.“ Da sprach der Jüngling: „Ich will weiter nichts als eins von den Pferden, welche in Deinem Stalle stehen.“ Der Priester sagte: „Welches Pferd Du haben willst, das kannst Du Dir nehmen.“ Darauf ging er mit ihm in den Stall; der Jüngling suchte sich das dürrste aus, welches nur zu finden war, schirrte es an, nahm von dem Priester Abschied und zog in die weite Welt.

Unterwegs kam er in einen grossen Wald. Da sah der Jüngling an der Erde eine Feder liegen, welche einen ungemeinen Glanz ausstrahlte. Er wollte sie aufnehmen und einstecken, aber das Pferd schüttelte den Kopf und sprach: „Lass die Feder liegen, Du wirst viel Wehe davon haben.“ Doch der Jüngling hörte nicht darauf und nahm die Feder. Darauf zog er weiter. Endlich kam er an den Hof eines mächtigen Königs. Der Jüngling fragte die Leute des Königs, ob er am Hofe bleiben könnte. „O ja“ sagten sie, „Du kannst immer hier bleiben, Du kannst uns die Pferde füttern und putzen.“ Der Jüngling sagte: „Ja, das will ich tun.“ Darauf führten sie ihn und sein Pferd in den königliehen Stall.

In dem Stall standen eine Masse sehr schöner Pferde von allen Farben, auch brannten darin des Morgens und des Abends zwölf Lichter, damit es im Stall hell sei, aber die Feder des Jünglings war noch heller als alle Lichter. Deshalb hing der Jüngling gewöhnlich des Abends die Feder an die Stalldecke und löschte die Lichter aus, denn durch den Glanz der Feder war es im Stall hell, wie am Tage. Endlich hamen die Leute dahinter, warum die Kerzen nie ausgebrannt waren, denn sie hatten des Jünglings Treiben belauscht. Da gingen sie zum Könige und erzählten ihm, was sie gesehen hatten. Der König sprach: „Die Feder will ich haben, bringt sie mir sogleich.“ Darauf gingen die Leute des Königs nach dem Stall, um die Feder von dem Jüngling zu holen. Der Jüngling wollte sie aber nicht gleich geben, sondern sprach: „Das muss ich mir erst noch überlegen.“

Darauf ging er zu seinem Pferde und sprach zu ihm: „Soll ich die Feder geben?“ Das Pferd sagte: „Ja, ja, gieb sie nur. Habe ich Dir nicht gesagt: lass die Feder liegen. Du wirst viel Wehe davon haben?“ Der Jüngling that wie ihm das Pferd gerathen hatte. Darauf wurde dem Könige die Feder gebracht. Nach kurzer Zeit liess dieser den Jüngling rufen und sprach: „Die Feder habe ich wohl, jetzt musst Du mir aber auch den Vogel dazu schaffen, von welchem die Feder ist.

Da ging der Jüngling wieder zu dem Pferde und weinte. Das Pferd aber sprach: „Siehst Du, habe ich Dir nicht gesagt: lass die Feder liegen. Du wirst viel Wehe davon haben? Gräme Dich aber nicht, den Vogel werden wir schon bekommen; lass Dir nur goldene und silberne Schlingen geben.“ Da ging der Prinz zum König und forderte goldene und silberne Schlingen. Während die Schlingen geholt wurden, ging er in den Stall und sattelte sein Pferd. Kaum war er damit fertig, so brachten ihm die Diener die Schlingen, und fort ging es nach dem Walde. Dort legte er die Schlingen, es dauerte auch nicht lange, so hatte sich der glänzende Vogel gefangen. So schnell als er konnte eilte der Jüngling zum König zurück und brachte ihm den Vogel. Der König war erfreut darüber und sprach: „Du sollst mir nun aber noch mehr sagen: wenn Du das kannst, dann werde ich Dich reich belohnen, aber kannst Du es nicht, dann musst Du sterben. Sage mir: Warum ist im Winter die Sonne niedrig und im Sommer hoch?“ Da sprach der Jüngling: „Jch fordere eine kurze Bedenkzeit, dann werde ich es Dir sagen“ Er ging zu seinem Pferde und weinte, und erzählte ihm das, was der König gesagt hatte. Darauf sprach das Pferd wieder: „Habe ich Dir nicht gesagt: lass die Feder liegen, Du wirst viel Wehe davon haben? Aber ich will Dir sagen, was Du zu antworten hast. Gehe hin zum König und sage: Deshalb ist im Winter die Sonne niedrig und im Sommer hoch, weil auf dem Meere eine Jungfrau sitzt, welche im Winter nicht erfrieren und im Sommer nicht verbrennen soll.“

Darauf ging er zu dem König und sagte ihm das. Da sprach der König: „Die Jungfrau musst Du mir holen.“ Darauf forderte der Prinz wieder Bedenkzeit, ging zu seinem Pferde und klagte ihm sein Leid. Da sagte das Pferd: „Habe ich Dir nicht gleich gesagt: lass die Feder liegen. Du wirst viel Wehe davon haben? Doch die Jungfrau werden wir bekommen. Lass Dir nur vom Könige geben: Ein goldenes Bettgestell mit seidenen Bettkissen, einen goldenen Tisch, goldene und silberne Gläser und verschiedene Sorten Wein; damit gehe an das Meer. Dann wird die Jungfrau an das Land schwimmen, sie wird von dem Wein trinken und darnach wird sie schläfrig werden; dann wird sie sich ins Bett legen, und darauf werden wir sie forttragen.“ Der Jüngling ging zum Könige und bat ihn um alles das, was das Pferd ihm gesagt hatte. Darauf liess der König Alles an den Meeresstrand schaffen und der Jüngling ritt mit seinem Pferde auch dorthin. Er stellte den Tisch und das Bett auf, den Wein, die goldenen und silbernen Becher aber setzte er auf den Tisch. Es dauerte auch nicht lange, so kam die Jungfrau herangeschwommen, setzte sich an den Tisch und trank von allen Weinen, ja sie trank so viel, dass sie schläfrig wurde, sich in das Bett legte und fest einschlief. Darauf wurde die Jungfrau zum König gebracht. Den andern Tag sprach die Jungfrau: „Mich habt Ihr hergeholt, aber drüben weiden meine Stuten, die müssen alle Tage gefüttert und gemolken werden, die muss ich auch hier haben.“ Darauf liess der König den Jüngling wieder rufen und befahl ihm die Stuten zu holen.

Weinend ging der Jüngling zu seinem Pferde, das Pferd aber sagte: „Habe ich Dir nicht gesagt: lass die Feder liegen, Du wirst viel Wehe davon haben? Aber gräme Dich nicht, die Stuten werden wir schon bekommen“ Darauf sprach das Pferd: „Wir werden an das Meer ziehen, ich werde wiehern und Du wirst pfeifen, dann werden die Stuten an das Ufer schwimmen und an das Land springen; dann werden wir sie zum König schaffen.“ Den andern Tag machte sich der Jüngling mit seinem Pferde auf und zog an das Meer. Das Pferd wieherte und der Jüngling pfiff. Es dauerte nicht lange, so kamen die Stuten geschwommen, sprangen an das Land und der Jüngling und sein Pferd brachten sie zum Könige. Als sie dort ankamen, war die Freude der Jungfrau gross.

Den andern Tag liess diese den Jüngling wieder rufen und sprach: „Hast Du mir die Stuten hergebracht, so musst Du sie auch alle Tage melken.“ Da ging er wieder zu seinem Pferde und weinte und erzählte, was die Jungfrau gesagt hatte. Das Pferd sprach: „Habe ich Dir nicht gesagt: lass die Feder liegen, Du wirst viel Wehe davon haben? Die Stuten werden wir schon melken, habe keine Bange, ich werde thun, als ob ich sie berieche, dann werden sie still stehen und dann kannst Du sie melken.“ Richtig, der Jüngling band das Pferd los und führte es zu den Stuten hin. Das Pferd that so, als ob es sie berieche, da standen sie still. Der Jüngling fing an, sie zu melken und es dauerte nicht lange, so war er damit fertig.

Nach einiger Zeit liess ihn der König rufen und sprach: „Die Milch musst Du kochen und dann musst Du hineinspringen.“ Da ging der Jüngling wieder zu seinem Pferde und erzählte, was der König gesagt hatte. Das Pferd sagte wieder: „Habe ich Dir nicht gesagt: lass die Feder liegen, Da wirst viel Wehe davon haben? Aber das ist das letzte Wehe: in die Milch kannst Du springen und Du wirst auch nicht darin sterben. Wenn die Milch gekocht ist, werden wir uns an das Gefäss stellen und werden Beide so lange weinen, bis die Milch kalt ist; dann kannst Du hineinspringen.“ Darauf kochte der Jüngling die Milch und dann holte er sein Pferd aus dem Stall; Beide stellten sich an das Gefäss and weinten, da wurde die Milch kalt. Nach einiger Zeit sprang der Jüngling hinein und kam viel schöner daraus hervor, als er vorher gewesen war.

Als der König, welcher alt war, das sah, glaubte er, wenn er in die kochende Milch springe, so werde er auch wieder jung werden. Er wusste aber nicht, dass die Thränen des Jünglings und seines Pferdes die Milch erst gekühlt hatten, bevor der Prinz hineingesprungen war. Deshalb befahl er, dass die Milch noch einmal gekocht werde; als sie heiss war, sprang er hinein. Da verbrühte sich der König so, dass er starb. Der Prinz aber heirathete die Jungfrau and ward König.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880