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Elsbeth und Kleinholder

  Aus Haupt und Schmaler's wend. Liedern II. Anhang.

Drei Stunden vor Tage ging die fleißige Elsbeth aus, Gras schneiden. Als sie ein Stündchen geschnitten, da ließ sich das liebliche Morgenroth sehen. Als sie zwei Stündchen geschnitten, da kam die strahlende Sonne herauf. Und als sie drei Stündchen geschnitten, da stand der böse Kleinholder vor ihr. Was thust du hier in meinem Haine, sprach er. Ich schneide Gras für die Kühe und Kälbchen, antwortete sie. Ei, Elsbethchen, da mußt du mir ein Pfand geben, sprach er. Ein Pfand? sprach sie, das hab' ich nicht. Ich habe nur meine Sichel hier; die will ich dir geben. Ach was? sprach er, um dein Sichelchen ist mir's nicht, du mußt mir ein anderes Pfand geben. Ein anderes Pfand? sprach sie, das hab' ich nicht. Ich habe nur meinen silbernen Fingerring hier, den will ich dir geben. Ach was? Sprach er, um dein silbernes Fingerringlein ist mirs nicht. Du mußt mir ein anderes Pfand geben. Noch ein anderes Pfand? sprach sie, das hab ich nicht. Ich habe nur noch mein Rautenkränzlein, aber das geb ich dir nicht, sollt ich auch mein Leben darum lassen. Da sah sie der böse Kleinholder mit seinen glühenden Augen an und sagte: Siehe, schon sieben Jahre lang steht mein Sinn nach dir, aber ich konnte dich nicht erlangen. Heute sollst du mir nicht entgehen. Ergieb dich mir oder du mußt sterben. Nun, sagte Elsbeth, so will ich lieber sterben. Da sahe sie Kleinholder mit seinen glühenden Augen an und sagte ergrimmt: So sprich, welches Todes du sterben willst. Soll ich dich zu Tode hauen mit dem Schwert, oder soll dich zu Tode treten mein Pferd? — Ach, fagte Elsbeth, nimm mir doch das Leben wie du willst, aber laß mich nur noch dreimal rufen. Da lachte Kleinholder und sagte: So rufe zu. Und Elsbeth rief zum erstenmale: Zu Hülfe, zu Hülfe, ihr Brüderlein! Mir geht es so schlimm in dem grünen Hain. Die Brüder beide aber saßen zusammen in der Schänke, tranken und spielten und waren guter Dinge. Aber der jüngste hörte den Ruf und sagte zum ältetesten: Horch, horch, was ruft dort in dem Hain? Ist es nicht unser lieb Schwesterlein? Und Elsbeth rief zum zweitenmal: Zu Hülfe, zu Hülfe, ihr Brüderlein! Mir geht es so schlimm in dem grünen Hain. Da sagte der älteste zu dem jüngsten Bruder: Auf, auf! und sattle das Pferd für mich und sattle das andere auch für dich. Und Elsbeth rief zum dritten mal: Zu Hülfe, zu Hülfe, ihr Brüderlein, mir geht es so schlimm in dem grünen Hain. Und da waren die Brüder auf ihren schnellen Pferden und mit ihren blanken Schwertern schon herangeritten bis an den grünen Hain.

Aber sie hörten nichts mehr. Einmal und zweimal ritten sie rings um den Hain herum, aber sie wurden nichts gewahr. Da ritten sie zum drittenmale mitten hinein und da kam ihnen Kleinholder entgegen mit dem Schwert an der Seite, das troff von rothem Blute. Und sie rannten ihn an und sprachen: Kleinholder, wen hast du geschlagen todt, daß dir an der Seite das Schwert so roth? – Kleinholder sagte gleichmüthig: Ein Flug Tauben kam hergeflogen und denen hab ich die Köpfe abgehauen. Und sie sagten: Ei, wo hast du denn die Köpfe gelassen? Er aber sprach: Ich habe sie alle im Haine verstreut. Und sie sagten: Wo hast du denn die Federn gelassen? Er aber sprach: Die ließ ich alle in die Luft fliegen.

Und da sagten sie: Ja, aber wo hast du denn unser Elsbethchen gelassen? Da schwieg Kleinholder still und sagte nichts, und die Brüder ergriffen ihn und stachen ihm ihre Schwerter in das Herz. Und als sie ihn getödtet hatten, suchten sie ihr liebes Schwesterlein. Das lag da unter den Bäumen im grünen Gras Und sie weinten und trauerten und sprachen:

Sie wollten wohl Fürsten und Könige frein;
Nun muß von Kleinholder getödtet sie sein.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862